Mahlzeit allerseits,
ich bin neu hier und entbiete meinen Gruß in die Runde. Ich bin über ebendiesen Thread gestolpert und bin so frei, mal eben meinen Senf dazuzugeben. Sowohl das erwähnte Heftchen als auch die Panzerei der NVA sind mir wohlbekannt. Ich diente bis '87 als Fahrer im PR. 22. (Nach dem 21. und 23. hätten wir damit dann wohl die Panzer-Regimenter der ehemaligen 9. PD komplett.)
Ich denke, die widerlichen Zustände seinerzeit sind im besagten Heftchen recht treffend beschrieben (auch wenn es in seiner literarischen Qualität nicht überzeugt). Allerdings muß man wissen, daß der Alltag in solchen Einheiten wie Raketentruppen, Kampfschwimmer und eben Panzer offensichtlich besonders unangenehm war und mit der restlichen NVA nur bedingt vergleichbar ist. Fakt ist, daß in Truppenteilen, deren strategische Bedeutung - wie vorliegend - besonders hoch war, quasi alles der Gefechtsbereitschaft untergeordnet war. Ausgang oder gar Urlaub gab es EXTREM selten. Nicht zuletzt auch daraus resultierte ein erhebliches Frustpotential. Mit dem Anspruch der NVA an sich selbst hatte der Alltag in den Panzerkompanien nichts gemein. Letztendlich ähnelte die Panzerei einem großen Gefängnis. Um die Leute unter diesen Bedingungen im Griff zu behalten, wurde extrem viel Streß erzeugt. Die Panzereinheiten rotierten rund um die Uhr, damit niemand der Insassen auf dumme Gedanken kam. Ich habe damals mitgezählt: von den ersten 16 Wochenenden des Jahres 1986 hatten wir an 13 Wochenenden weder Sonnabend noch Sonntag frei - haben als durchgerackert - oft bis nachts um ein oder zwei Uhr. Das ging soweit, daß ich seinerzeit in Verbindung mit wenig Schlaf und wenig Essen mit einem Kreislaufkollaps zusammenbrach. Die Tätigkeiten, mit denen die Panzerkompanien auf Trab gehalten wurden, waren in der Mehrzahl völlig sinnlos. Beispielsweise wurden schwere Munitionskisten von der einen Ecke des Parks per Hand an eine andere Stelle transportiert, nur um dann später wieder an den Ausgangsort geschleppt zu werden. Folge dieser Praxis war, daß man als Panzersoldat sich auf die Dauer von seinem eigenen Willen, von seiner eigenen Persönlichkeit verabschiedete. Befehle - egal wie sinnlos oder unangenehm - wurden widerstandslos ausgeführt. Man hatte sich in die Hoffnungslosigkeit der Situation völlig ergeben. Es focht einen nichts mehr an - man war völlig ruhig. Das war letztendlich auch viel einschneidender als die körperlichen Belastungen bzw. sonstigen Entbehrungen. Ich habe bei minus 25 Grad 10 Tage lang ununterbrochen heftigst gefroren (trotz bzw. wegen Kanonenofen), habe volle 6 Monate im Zelt gelebt, habe diese 6 Monate ein Klo benutzen müssen, das nur aus Gerüststangen bestand, ohne jede Abtrennung Platz für 8 Mann gleichzeitig bot und aus 300 m Entfernung frei einsehbar war. An den Wasserleitungen in den Massenwaschräumen lagen aufgrund der maroden E-Anlage über 40 V Spannung an, das Essen war unter aller Sau (die Wurst schillerte in allen Farben) und wenn ich ein wenig nachdenke, fallen mir sicher noch ein paar Highlights ein. Fakt ist, ich träume selbst heute noch hin und wieder von riesigen Massen-Sanitär-Räumen, in denen die Pisse knöchelhoch steht und in denen man kein vernünftiges Klo zum Pinkeln findet...
Aber diese kleinen Unannehmlichkeiten waren geradezu lächerlich gegen die allgegenwärtige Hoffnungslosigkeit und die Aufgabe der eigenen Persönlichkeit.
Gruß Falk