Autor Thema: Frauen mit dem Eisernen Kreuz  (Gelesen 227296 mal)

Heimatschuss

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Re:Frauen mit dem Eisernen Kreuz
« Antwort #105 am: 16.09.10 (10:04) »
Hallo alle miteinander und Guten Morgen!

Es freut mich, daß meine Detailverbesserungen an den Lebensläufen einiger EKII-Trägerinnen hier so interessiert aufgenommen wurden. 

Da IM zur Diskussion aufgerufen hat, will ich meine Theorie bzgl. der oberen Gruppenaufnahme mal erklären. Auch mir war die untere Gruppenaufnahme aus dem Klietmann bereits bekannt. Was mich dann in Zweifel versetzte, waren folgende Einzelportraits von Anne-Gunhild Moxnes 




Wir sehen folgende Charakteristika:

- dunkle, nach hinten gekämmte Haare
- Uniform der norwegischen Frontsösters mit großen blanken Metallknöpfen an den Brusttaschen und an der Knopfleiste
- Ärmelband 'Wiking' als Andenken an ihre Zeit bei der 5. SS-Panzerdivision 'Wiking'

Wenn wir nun das Bild aus dem Klietmann nehmen, tragen die Frauen rechts und links offensichtlich eine Uniform der Frontsösters. Die Frau in der Mitte hingegen hat eine normale DRK-Uniform. (Es gab auch Norwegerinnen, die mit normaler DRK-Bekleidung ausgerüstet waren.  Daher kann man auf die Nationalität der Frau in der Mitte, zumindest bei dieser Bildqualität, keine Schlüsse ziehen.)

Die Frau links hat dunkle, nach hinten gekämmte Haare. Ein Ärmelband am linken Unterarm ist ebenfalls tlw. erkennbar. An der Knopfleiste trägt sie ein Ordensband, wobei der Mittelstreifen deutlich heller ist als die Außenstreifen. Das entspricht der Abfolge beim Band des EKII: schwarz - weiß - rot - weiß - schwarz.

Die Frontsöster auf der rechten Seite hingegen hat blonde Locken und die Farbenfolge bei ihrem Ordensband scheint zu sein: rot - weiß - schwarz- weiß - rot. Das würde dann heißen, die Frau ist Trägerin des Kriegsverdienstkreuzes. Da es ja überhaupt nur eine norwegische EKII-Trägerin bekannt ist und diese bereits auf der linken Bildseite steht, muß es logischerweise auch ein anderes Abzeichen sein. (Ich hoffe niemand will jetzt ernsthaft die Frage diskutieren, wie Elfriede Gunia als Deutsche in eine Uniform für Norwegerinnen geraten sein könnte. Sogar die norweg. Ärmelflagge ist ansatzweise erkennbar am rechten Bildrand.) Zudem trägt die Frau rechts lediglich des Band zum Orden, d.h. die Verleihung ist schon mindestens einen Tag vorbei. Auch dies paßt nicht zur gleichzeitigen Verleihung an Gunia und Moxnes.   

Klietmann hat die Sache offensichtlich unter dem Klischee angegangen, daß alle Norwegerinnen blond sein müssen. Folglich mußte die Frau auf der rechten Seite A.-G. Moxnes sein. Daß die Farbenfolge des Ordensbandes nicht stimmte und die als 'E. Gunia' identifizierte Person auf der Linken eine norwegische Uniform trug, scheint ihn nicht gestört zu haben. Aber Klietmann war halt auch nur Generalist, der über zig Themen geschrieben hat. Vieles scheint da von der Qualität seiner jew. Zuträger abgehangen zu haben. 

Nun noch kurz zur oberen Gruppenaufnahme. Die Frau rechts ist auf Grund der schon genannten Charakteristika offensichtlich wieder A.-G. Moxnes. Daneben haben wir dann in der Bildmitte eine weitere Schwester mit DRK-Uniform und Band zum EKII. Nun ist das EKII unter Frauen eine sehr seltene Auszeichnung und ein zufälliges Aufeinandertreffen zweier weiblicher EK-Trägerinnen dementsprechend unwahrscheinlich. So etwas kann eigentlich nur vorgekommen sein, wenn die beiden in einer Einheit zusammen Dienst taten. Da sowohl Gunia wie Moxnes ihre Auszeichnung für die Rettung von Verletzten aus dem Lazarett Reval im März 1944 erhielten, darf man so eine gemeinsame Einheit wohl annehmen. Das ganze ist natürlich kein absoluter Beweis, daß Frau Gunia in der Mitte steht, aber die Wahrscheinlichkeit dafür ist sehr hoch.   
 

Viele Grüße
Torsten
« Letzte Änderung: 16.09.10 (10:10) von Heimatschuss »

IM

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Re:Frauen mit dem Eisernen Kreuz
« Antwort #106 am: 16.09.10 (20:24) »
Hallo Torsten,

schön, daß Du Dich hier zu Wort meldest. Ich hatte schon den Gedanken, Dich via AHF zu kontaktieren, aber hatte dann nicht mehr daran gedacht, ...

Es ist erstaunlich, welche Infos in Summe hier zusammengekommen sind, seitdem ich diesen Beitrag gestartet habe. Ein jeder trägt ein kleines Teilchen zusammen, und gegenseitig kann man sich helfen und ergänzen. Eine wirklich feine Sache.

Vielen Dank auch für die Bilder von Anne-Gunhild Moxnes.

Deine Ausführungen sind sehr ausführlich, und man könnte dem zustimmen. Wer nun wirklich auf den beiden Bildern zu sehen ist, ich kann dazu leider nichts sagen. Wenn ein Bild mit Namen auftaucht, dann muß man natürlich in erster Linie davon ausgehen, der Autor weiß wie es dazu kam.

Was die Angaben im Klietmann betrifft, da wurde hier im Forum schon an einem anderen Beispiel gezeigt, wie zuverlässig, oder besser gesagt unzuverlässig sie sein können. Auch die dort zu findenden Angaben über die EK-Verleihungen an Frauen konnten wir gemeinsam ja Stück für Stück ergänzen und zum Teil auch korrigieren.

Was die Anzahl der EK-Verleihungen an Frauen betrifft, so würde ich rein persönlich davon ausgehen, daß deren Zahl die 100 vielleicht überschritten haben könnte. Das bedeutet natürlich weiterhin eine verschwindend kleine Zahl, aber sie dürfte vielleicht höher liegen, als bisher vermutet. Leider wird der Großteil von ihnen wohl unbekannt bleiben.

Heimatschuss

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Re:Frauen mit dem Eisernen Kreuz
« Antwort #107 am: 03.03.11 (17:48) »
Hallo,

hab mal wieder etwas interessantes gefunden, diesmal zu Eva Halm.

Sie wurde bei einem Schauprozess im Januar 1956 in Ost-Berlin (Verfahren gegen Held u.a) wegen angeblicher Spionage zu einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe verurteilt. Die damaligen Prozessunterlagen enthalten auch einen Lebenslauf von ihr. Eva Halm starb am 12.09.1956 im Gefängniskrankenhaus in Leipzig-Kleinmeusdorf.  

Ein noch lebender Richter des Verfahrens, Prof. Dr. Hans Reinwarth, wurde nach der Wiedervereingung wegen Rechtsbeugung u.a. in dem o.g. Verfahren vor Gericht gestellt und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (Landgericht Berlin, Urteil vom 17.06.1994, Az.: (528) 29/2 Js 283/92 Ks (1/94)). Das Urteil wurde später durch Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht bestätigt.    

Umfangreiche Auszüge aus den erwähnten Urteilen kann man nachlesen bei  

Marxen, Klaus; Werle, Gerhard (Hrsg.)
Strafjustiz und DDR-Unrecht. Dokumentation
Band 5, Teil 1: Rechtsbeugung
(bearbeitet von Gerhard Werle, Klaus Marxen, Boris Burghardt, Ute Hohoff, Petra Schäfter)
Verlag W. de Gruyter; Berlin; 2007; S.351 - 489

Ich hab' mal das wichtigste bzgl. Eva Halm rauskopiert (s.u.).
Seite XXX ist die Seitenangabe im Buch von Marxen u. Werle.
{XXX} ist die Seitenangabe im jeweiligen Urteilstext, hier also LG Berlin, Az.: (528) 29/2 Js 283/92 Ks (1/94))  

Seite 408
Zitat
[......]
Das aufgrund der Hauptverhandlung ergangene Urteil des Obersten Gerichts lautete
wie folgt: {249}

         Oberstes Gericht
               der
   Deutschen Demokratischen Republik
        1. Strafsenat
        1 Zst (1) 1/36

       Im Namen des Volkes!
    In der Strafsache gegen

1.   den Konstrukteur Max Held,
        geboren 1913 in Z.,
        wohnhaft: Berlin-Adlershof;

2.   den Elektriker Werner Rudert,
        geboren 1922 in G.,
        wohnhaft: Erfurt;

3.   die Stenotypistin Eva Halm,
        geboren 1922 in B.,
        wohnhaft: Potsdam;

4.   den Hollerith-Spezialisten Joachim Sachße,
        geboren 1928 in C.,
        wohnhaft: Karl-Marx-Stadt;

wegen Verbrechen gegen Artikel 6 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik

hat das Oberste Gericht der Deutschen Demokratischen Republik durch den 1. Strafsenat in der
Sitzung von 24.-27. Januar 1956 in Berlin, an der teilgenommen haben:
Vizepräsident Ziegler,
als Vorsitzender

Oberrichter Dr. Löwenthal,
Richter Reinwarth
als beisitzende Richter

Generalstaatsanwalt Dr. Melsheimer
und Staatsanwalt Bauch
Sekretär K.
als Protokollführer
für Recht erkannt: {250}

Wegen Verbrechen gegen Artikel 6 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik
werden verurteilt:

Seite 409
Zitat
der Angeklagte Held
zum Tode,

der Angeklagte Rudert,
zum Tode,
 
die Angeklagte Halm
zu lebenslangen Zuchthaus,

und der Angeklagte Sachße
zu 8 - acht - Jahren Zuchthaus.

Die Angeklagten dürfen gemäss Artikel 6 Absatz 3 der Verfassung der Deutschen Demokratischen
Republik weder im öffentlichen Dienst noch in leitenden Stellen im wirtschaftlichen und
kulturellen Leben tätig sein. Sie verlieren das Recht, zu wählen und gewählt zu werden.
Dem Angeklagten Sachse [sic!] wird die erlittene Untersuchungshaft angerechnet. Die  
Angeklagten haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
[......]

Seite 411
Zitat
[......]
3. Die 35jährige Angeklagte Halm stammt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Im Jahre 1938
erwarb sie auf der Mittelschule in Breslau die mittlere Reife. Danach war sie als Reichsbahngehilfin
und später als Stenokontoristin tätig. Während dieser Zeit bestand sie an der Abendschule
in Breslau das Abiturium. Im Juni 1944 wurde sie zum Heereszeugamt als Zivilangestellte verpflichtet
und war dort als Kraftfahrerin eingesetzt. Anfang März 1945 kam sie als Kompanieschreiberin zu
einer Wehrmachtseinheit nach Grüneiche. Für ihre Einsätze bei einem Abtransport von Wehrmachtsakten
aus Brieg wurde sie mit dem EK II ausgezeichnet. Ihre Verbundenheit zum Faschismus brachte sie unter
anderem dadurch zum Ausdruck, dass sie noch einige Tage nach der Besetzung Breslaus bei offenem
Fenster das Deutschlandlied auf dem Klavier spielte.
Im Oktober 1945 wurde sie aus Breslau in die damalige sowjetische Besatzungszone umgesiedelt.
Sie erhielt zunächst Wohnraum in Greiz. Hier ging sie wegen Krankheit keiner Arbeit nach
und bezog Unterstützung. Im September 1946 zog sie zu ihren Eltern nach Lauenburg Krs. 0berbarnim,
auf deren NeubauernsteIle sie arbeitet. In den folgenden Jahren war sie nacheinander
kurze Zeit {255} als Kriminalassistentin bei der Volkspolizei, Abteilung K 5, in Potsdam, als
Stenotypistin im Gewerkschaftsbüro der SAG Linsa in Potsdam-Babelsberg, als Angestellte im
Amt für Reparationen in Berlin, als Stenotypistin im Ministerium für Finanzen der Landesregierung
Brandenburg in Potsdam, als Sekretärin beim Landesausschuss der Nationalen Front in
Potsdam, als 1. Sekretär der VdgB (BGH) im Ortsbezirk Angermünde, als Schülerin der Propagandisten-
Schule der VdgB in Neutschental bei Halle, als Sachbearbeiterin in der Bezirksleitung
des Kulturbundes in Potsdam, als Aushilfe beim Bezirksvorstand des DFD in Potsdam und
zuletzt als Maurerlehrling in der Baufachschule in Berlin-Lichtenberg tätig.
Die Angeklagte trat am 1. Februar 1946 in Greiz der KPD bei und wurde nach der Vereinigung
der beiden Arbeiterparteien Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Im Jahr
1947 besuchte sie die Kreisparteischule und drei Monate lang einen Lehrgang der Landesparteischule
in Schmarwitz.
[......]

VdgB: Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe
DFD: Demokratischer Frauenbund Deutschlands


Seite 418
Zitat
[......]
Die gegen die damaligen Angeklagten Held und Rudert verhängten Todesstrafen
wurden durch Gnadenerweis des Präsidenten der DDR vom 8. Februar 1956 in lebenslangen
langen Zuchthausstrafen umgewandelt. Später wurden die lebenslangen Zuchthausstrafen
fen zunächst in solche von jeweils fünfzehn Jahren verkürzt, die Angeklagte Held wurde
de schließlich am 14. August 1964, der Angeklagte Rudert am 21. August 1964 auf
Bewährung entlassen.

Die Strafe des damaligen Angeklagten Sachße wurde, ohne daß ihm das damals bekannt
gegeben worden ist, durch Gnadenentscheid des Präsidenten der DDR am 30. Oktober 1956
auf drei Jahre herabgesetzt und mit Wirkung vom 8. März zur Bewährung
ausgesetzt. Am 17. Juni 1969 wurde die Reststrafe erlassen.

Die damalige Angeklagte Halm, die am 13. Juni 1955 in Untersuchungshaft genommen war,
verstarb am 12. September 1956 im Haftkrankenhaus Klein-Meusdorf. {270}
[......]

Klingt ein bißchen eigenartig, Eisernes Kreuz für das Abfahren von ein paar Fuhren Akten. Das sie in  Breslau recht großzügig mit den Eks waren, sieht man ja schon aus der Statisik. Aber hier scheint wirklich jemand die Spendierhosen angehabt zu haben, wenn der Sachverhalt denn so stimmt wie geschildert.

Viele Grüße
Torsten
« Letzte Änderung: 03.03.11 (18:08) von Heimatschuss »

IM

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Re:Frauen mit dem Eisernen Kreuz
« Antwort #108 am: 03.03.11 (18:03) »
Hallo Torsten,

recht herzlichen Dank !! Das ist alles sehr interessant.

Eva Halm hatten wir bis jetzt überhaupt nicht mit dabei.


Alles was wir hatten, war diese Angabe:

Zitat
(-nach eigenen Angaben-)

Dienstverpflichtete Eva Halm in Breslau („Neues Deutschland“ vom 26.01.1956, Ost-Berlin)

Quelle: http://www.auszeichnungen-online.de/namensliste_frauen.htm


Durch Deine Ausführungen haben wir jetzt einen neuen Namen in der Liste, mit einem Geburtsjahr, einem (leider sehr frühem) Todesdatum und einem Lebenslauf mit Hinweis auf die Tat.

 :D

AK 74 ZF

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Re:Frauen mit dem Eisernen Kreuz
« Antwort #109 am: 04.03.11 (12:08) »
Zitat : Klingt ein bißchen eigenartig, Eisernes Kreuz für das Abfahren von ein paar Fuhren Akten. Das sie in  Breslau recht großzügig mit den Eks waren, sieht man ja schon aus der Statisik. Aber hier scheint wirklich jemand die Spendierhosen angehabt zu haben, wenn der Sachverhalt denn so stimmt wie geschildert.

@Heimatschuß ... schon etwas seltsam was Du Dir da als Urteil anmaßt. ...

Die Kämpfe um Breslau waren zum Teil äußerst hart. Und dabei waren auch Transport- und Kurierfahrten, ob nun zum Transport von Verwundeten, Nachschub an Waffen/Munition, Personal oder auch mehr oder weniger wichtiger Akten, zum größten Teil und Feindfeuer sehr gefährliche Tätigkeiten.

Daß 1945 im Endkampf die Verleihung mit diversen Auszeichnungen zum Teil wirklich häufig "Inflationär" erfolgte, läßt sich allerdings nicht immer generell auf den jeweiligen Einzelfall heruntertransformieren. ... Im übrigen war/ist die Verleihung von Auszeichnungen zum Teil häufig sehr subjektiv und wurde auch sehr unterschiedlich gehandhabt. Das EK oder gar Ritterkreuz eines direkt an der Front kämpfenden Infanteristen, Fallschirmjägers, Panzermannes, Panzerjägers usw. ist sicher anders zu werten als dieselbe Auszeichnung bei "Etappensoldaten". ... Dazu gehört sicher auch die von Dir nicht zu Unrecht erwähnte "inflationäre" Verleihung in den Endkämpfen. Aber auch da gab es große Unterschiede. ...  Insbesondere beim Thema "Festung Breslau", wo beim Kampf als "Panzerjagdkommandos" oder im Häuserkampf sich ganze Schulklassen im Pimpfenalter freiwillig selbst "verheizten" und die  BDM-Mädels als Munitionsträgerinnen und Sanitäterinnen fielen ... sollten wir Nachgeborenen hinsichtlich "Spendierhosen" lieber die Klappe halten. >:(

Wobei eben wiederum, und deshalb mein Vorwurf der "Anmaßung", dies im Einzelfall betrachtet werden muß. Und da ist die etwas geringschätzige Äußerung über das ledigliche "Abfahren von Akten", ohne wirkliche Kenntnis der Umstände, in meinen Augen doch ein anmaßendes Urteil, welches unserer Generation (ich verallgemeinere uns mal zur "Nachkriegsgeneration") nicht ansteht.

Da ich noch aktive Teilnehmer der Endkämpfe (u.a. auch aus Breslau) kennengelernt hab ... wäre ich mit gewissen "Wertungen" mehr als vorsichtig. ... Gerade in den Endkämpfen und Absetzbewegungen (ob nun Rückzug, Flucht/Vertreibung) befanden sich Soldaten aller Waffengattungen, Zivilisten, Wehrmachtshelferinnen, Rot-Kreuzschwestern usw. meist im selben "Fleischwolf". Und gerade das Schicksal der Frauen, insbesondere der "Blitzmädels", Wehrmachtshelferinnen, Rot-Kreuzschwestern war in bestimmten Situationen besonders schwer und grausam und wurde in der allgemeinen "Kriegsgeschichte" (u.a. auch der Kriegsgefangenen) ziemlich häufig mit wenigen Worten abgetan.

Was die Auszeichnungen betrifft, so sind die weiblichen Dienstverpflichteten/Freiwilligen, ob nun bei der Heimat-Flak, Wehrmachtshelferinnen in verschiedenen Verwendungen und auch Rot-Kreuzschwestern (zusätzlich durch ihren "Zivilistenstatus"), meiner Meinung nach äußerst unterrepräsentiert.

IM

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Re:Frauen mit dem Eisernen Kreuz
« Antwort #110 am: 04.03.11 (14:23) »
Da muß ich mich jetzt mal dazwischen werfen.

Ihr habt beide Recht.

Auch ich hatte kurz innegehalten, als ich gelesen hatte, daß die Verleihung für den Abtransport von Wehrmachtsakten erfolgte.

Da uns keine weiteren Infos zu diesem Vorgang vorliegen, kann man ihn natürlich nicht "bewerten". Es bleibt schon die Frage, was waren es für Akten ? Daß die Fahrt(en) unter Feindkontakt erfolgt sein dürfte(n), dürfte wohl so unklar auch nicht sein.

Aber bitte, nicht gleich jede Aussage überbewerten. In erster Linie handelt es sich hier um einen Klasse-Beitrag mit Infos über eine Person, die bis jetzt noch nirgendwo zu lesen waren. Also bitte, vergrault diesen Mann nicht gleich wieder.

Heimatschuss

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Re:Frauen mit dem Eisernen Kreuz
« Antwort #111 am: 05.03.11 (17:18) »
Hallo IM,

keine Sorge. Ich bin Westfale und wir sind ja für unsere Dickfelligkeit bekannt. Werde also nicht gleich wieder wegrennen.  

Es lag mir fern, die Verteidiger von Breslau oder sonst wen lächerlich machen zu wollen. Mein Vater stammt aus einem Dorf 50 km SW von Breslau und wäre fast selbst mit dabei gewesen. Er war zwar erst 11, aber weil ziemlich groß gewachsen, wurde er gefragt, ob er nicht freiwillig beim Volkssturm mitmachen wolle. Seine Großmutter (die auf dem Hof "die Hosen anhatte") hat es ihm aber definitv verboten, was er immer etwas bedauert hat.  Der Volkssturm wurde dann später in den sich entwickelnden Breslauer Kessel befohlen. Ein paar von den Männern haben sogar überlebt und wurden von den Russen aus einem Gefangenenlager in Przemysel wieder nach Hause geschickt, weil sie in deren Augen für die Zwangsarbeit in der Sowjetunion einfach zu alt waren.

Die von AK 74 ZF monierte flapsige Ausdrucksweise ist allein dem Mißverhältnis zwischen der Tat (so wie sie in den Prozessunterlagen dargestellt ist) und der Höhe der Auszeichnung geschuldet. Nach allem was ich bisher über die Ordensverleihungen an Frauen gelesen habe, wäre aber auch dann nur ein KVK drin gewesen, wenn der Transport unter Beschuß erfolgt sein sollte. (Vergleiche z.B. die Auszeichnung von Flakwaffenhelferinnen in angegriffenen Stellungen).  

Für das Mißverhältnis kann es viele Gründe geben. Vielleicht ist bei den Transporten wirklich irgendetwas ganz besonderes passiert. Man muß aber auch immer im Auge behalten, daß es hier um ein politisch motiviertes Strafverfahren ging. Die Vernehmungsbeamten und der berüchtigte Staatsanwalt Melsheimer hatten ganz offensichtlich die Absicht, Eva Halm aus allem und jedem einen Strick zu drehen. Man lese nur den Satz, sie habe durch das Spielen des Deutschlandliedes auf dem Klavier ihre Sympathie für den Faschismus deutlich gemacht. Schon technisch eine Unmöglichkeit, da man auf dem Klavier lediglich den 2. Satz des Kaiserquartetts von Haydn spielt. 'Kaiserquartett' klang aber wohl nicht dramatisch genug. Gut möglich, daß so auch aus einem auch bei Frauen nicht ganz seltenen KVK II ein EK II gemacht wurde, um Halm als reaktionäre Militaristin darzustellen.

Ebenso gut kann es ein, daß Halm das EK II tatsächlich erhielt, aber für eine ganz andere Tat. Eine Tat, die sie beim Verhör dann nicht angab, um sich nicht selbst noch stärker zu belasten. Man stelle sich mal vor, sie hätte erzählt, sie sei in Breslau bei der Waffen-SS gewesen, habe so manchen Gegenstoß mitgemacht und dabei habe natürlich auch der eine oder andere Iwan ins Gras gebissen. Mit sowas konnte man bei den Behörden in Ost-Berlin 1956 sicherlich nicht punkten.              
  
Bezüglich der Verhöre Halms durch VoPo/Stasi sei noch eine Bemerkung bei Marxen u. Werle (S.407) erwähnt, wonach Halm bei der Gerichtsverhandlung erhebliche Sprachprobleme hatte, weil ihr mehrere Zähne fehlten. Sprachbehinderung tritt vorwiegend bei Verlust der Schneide- und Eckzähne ein, Backenzähne sind nicht so schlimm.  Wenn einer 35-jährigen Sekretärin die Vorderzähne fehlen, hat das meist etwas mit dem Einwirken von stumpfer Gewalt ins Gesicht zu tun. Man kann sich in einer ruhigen Minute ja mal Gedanken darüber machen, wie diese Verhöre damals evtl. ausgesehen haben.

Insgesamt bewegen wir uns hier aber völlig im Bereich psychologischer und sonstiger Spekulationen.

Festzuhalten ist:

- Es liegt keine Verleihungsurkunde an Eva Halm vor.
 
- Es gibt kein Foto von Eva Halm mit dem EK.

- Es gibt keinen Zeitungsbericht über die Verleihung (5 der 6 anderen Breslauer EK-Trägerinnen wurden gemeldet)

- Eventuelle Zeugen der Verleihung sind anscheinend nicht bekannt.
 
- Bislang beruht alles auf Eigenangaben von Eva Halm im Rahmen eines politischen Schauprozesses.

- So wie in dem Urteil geschildert, hätte die Tat eigentlich kein EK verdient.

Von daher ist diese Verleihung mit Vorsicht zu bewerten. Sofern nicht ein evtl. noch lebender Verwandter von Eva Halm vortritt und die Sache bestätigt, werden wir diese EK-Verleihung und ihre genauen Umstände wohl nie klären können.

Noch eine Bemerkung am Rande: Das Urteil von 1956 gibt an, Eva Halm sei 1922 geboren. Im gleichen Urteil vom Jan. 1956 steht aber auch, sie sei 35 Jahre alt gewesen. Da passt etwas nicht zusammen. Ob der Fehler schon im Originalurteil so vorkommt oder bei der Übertragung ins Buch passiert ist, kann ich nicht sagen. Falls jemand auf die Idee kommt, in Standesamtsunterlagen oder Taufbüchern aus Breslau nach Eva Halm zu suchen, sollte er vorher erstmal das Originalurteil bzgl. Geburtsjahr ansehen.

Viele Grüße
Torsten
« Letzte Änderung: 05.03.11 (17:31) von Heimatschuss »

Heimatschuss

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Re:Frauen mit dem Eisernen Kreuz
« Antwort #112 am: 05.03.11 (17:28) »
Doppel posting. Bitte löschen

IM

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Re:Frauen mit dem Eisernen Kreuz
« Antwort #113 am: 05.03.11 (18:12) »
Zitat
- Es gibt keinen Zeitungsbericht über die Verleihung (5 der 6 anderen Breslauer EK-Trägerinnen wurden gemeldet)

Ich persönlich gehe davon aus, daß die Zahl der Frauen mit EK weitaus höher sein kann, als wir heute vielleicht nur erahnen können.

Bleiben wir doch mal bei den Zeitungsberichten. Ich hatte es an anderer Stelle schon mal erwähnt.

Die Verleihung an Ilse Daub wurde in der Presse Ende Juni 1944 bekanntgegeben. Im Klietmann ist zu lesen, daß dies die 27. Verleihung an eine Frau war.

Bliebe zuerst die Frage, welcher Zeitraum ist damit gemeint ? War es die 27. Verleihung an eine Frau insgesamt, also seit Stiftung des EK von 1813 ? Oder ist damit lediglich der Zweite Weltkrieg und damit die Neustiftung von 1939 gemeint ?

Gehen wir doch mal davon aus, daß damit nur der Zweite Weltkrieg und somit die Zeit ab 1939 gemeint ist.

Uns bekannt sind vor Ilse Daub bis jetzt lediglich 9 Frauen. Das heißt, allein da fehlt schon ein großer Teil an Namen. Und wir würden uns erst im Sommer 1944 befinden. Der wirklich große Teil der Verleihungen dürfte eh im Zeitraum des letzten Kriegsjahres liegen.

Daher könnte man durchaus sagen, der größte Teil der Frauen, die mit dem EK II ausgezeichnet wurde, wird vielleicht für immer unbekannt bleiben.

Heimatschuss

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Re:Frauen mit dem Eisernen Kreuz
« Antwort #114 am: 05.03.11 (19:21) »
Hallo IM,

vielleicht hilft diese Liste aus Weiser u. Arbeiter (1981, S.443) weiter.



Etliche von denen kennen wir ja schon, wenn auch in manchmal etwas besserer Schreibweise.
Aber wer sind:
-  Lieselotte Maaseen (wohl Maaßen)
-  Therese H.
-  Maria Stolle?

Wo im Bundesarchiv existiert diese Liste? Hat man dort evtl. mehr Informationen zu diesen Frauen? Mit Google war einstweilen nichts rauszukriegen.

Quelle:

Marjorie P.K Weiser; Jean S. Arbeiter
Womanlist
Atheneum; New York; 1981

Viele Grüße
Torsten

IM

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Re:Frauen mit dem Eisernen Kreuz
« Antwort #115 am: 05.03.11 (19:28) »
Hm, da stellt sich mir als erstes die Frage, was soll denn das mit der Untergliederung "First-Class-Medal" ?

Damit ist doch nicht etwa das EK I gemeint ?

Bei Hanna Reitsch wären die Angaben ja noch richtig. Aber bei von Stauffenberg und Droste nicht.

Die drei von Dir aufgeführten Namen könnten durchaus noch weitere EK-II-Verleihungen sein. Es wäre zumindest ein erster Hinweis auf weitere konkrete Namen.

Wie schon gesagt, es muß noch sehr viele davon geben.

Tja, Bundesarchiv ist immer so eine Sache, ...

Heimatschuss

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Re:Frauen mit dem Eisernen Kreuz
« Antwort #116 am: 05.03.11 (23:27) »
Hallo IM,

mit First Class Medal ist allem Anschein nach tatsächlich das EKI gemeint. Nur gibt es mit Hanna Reitsch halt nur eine erwiesene Trägerin. Gräfin Stauffenberg war zwar fürs EKI eingericht, hat es aber nicht mehr gekriegt. Spricht insgesamt nicht gerade für die Qualität dieser Liste.

Ich hab hier noch einen Bericht über Alice Bendig und ihren Ausbruch aus Elbing, welcher allem Anschein nach auf ihren eigenen Angaben beruht. Auf den Seiten 57 - 59 kommt sie nicht vor. Ich hab die Seiten mal drin gelassen, weil es einen guten Eindruck der chaotischen Lage in Elbing gibt.

Quelle:

Egbert Kieser
Danziger Bucht 1945
5. Aufl.; Bechtle Verlag; Esslingen; 1985


Seite 53 - 54

[Beschreibung des sowjetischen Panzervorstoßes zum Frischen Haff tlw. weggelassen Es handelte sich um eine Panzerkompanie unter Hauptmann Djatschenko.]

Zitat
[.....]
Gegen 16 Uhr standen die sieben Panzer vor Grunau, 8 Kilometer vom Stadtzentrum Elbings entfernt. Sie waren eingekeilt in eine Menge anderer Fahrzeuge - es war der einzige südliche Übergang über die um Elbing gezogenen Panzergräben. Meter um Meter schoben sie sich vor, bis endlich Luft wurde und sie im Marschtempo in die Stadt fahren konnten. Hauptmann Djatschenko wurde übel. Ihm war, als seien seine Nerven um den Magen geknotet. Das ging nicht mit rechten Dingen zu: vor ihm fuhr eine voll besetzte Straßenbahn. Die

Seite 55
Zitat
Geschäfte am Straßenrand waren geöffnet. Überall Fußgänger und Zivilautos. Die kaum abgedunkelte Straßenbeleuchtung war eingeschaltet. War hier Niemandsland, saßen sie in einer Falle, war der Krieg schon gewonnen? Sie fuhren stur weiter in nördlicher Richtung. Sie kamen an einen großen Platz mit einem Gebäude, das aussah wie das Rathaus. Sie fuhren rechts daran vorbei und kamen auf einen noch größeren Platz. Hauptmann Djatschenko sah auf seinen Kompaß. Gegenüber führte eine breite Straße genau nach Norden.

»Wenn das so weitergeht, sind wir bald in Schweden«, sagte der Fahrer von Panzer drei. Im selben Augenblick krachte es mehrmals »Panzer sieben hat es erwischt«, kam eine Meldung von hinten. »Feuer frei«, schrie Hauptmann Djatschenko. Die Panzer ballerten aus sämtlichen Rohren ziellos in die Gegend. Die Straße war wie leergefegt. Mit Vollgas preschten sie los. Jetzt bekamen sie Feuer von allen Seiten. Ehe sie aus der Stadt heraus waren, blieb noch ein Panzer auf der Strecke. Etwa sieben Kilometer nördlich der Stadt erreichten sie eine riesige Fläche, die sich deutlich von der verschneiten Landschaft abhob: das zugefrorene Frische Haff. Die Sowjets bogen von der Straße ab und gingen bei einigen leerstehenden Gebäuden in Stellung. Sie blieben drei Tage stehen, bis ihre Genossen sie aufsammelten.

Die Heeresnachrichtenhelferin Alice Bendig war um diese Zeit im Begriff, ihr Haus zu verlassen und zum Dienst zu gehen. Im Hausflur begegnete ihr ein Wohnungsnachbar. Er hatte gerade Dienstschluß im Finanzamt gehabt und war an den grauen Ungetümen vorbeigerannt. Er war noch ganz außer Atem. »Da haben wir den Salat. Und vor zwei Tagen haben Sie mir noch gesagt, daß überhaupt keine Gefahr besteht!« Alice Bendig ließ den Mann stehen und lief zurück in ihre Wohnung. »Maria, pack ein paar Sachen und nimm die Kinder. Ihr geht zu meiner Mutter nach Vogelsang!« Dort auf der Frischen Nehrung würden sie sicher sein. Maria, die den Bendig-Haushalt führte, seit Frau Bendigs Mann eingezogen war, und die die beiden vier- und sechsjährigen Kinder betreute, war eine ältere, ein wenig einfältige Frau aus der Danziger Niederung. Sie nickte

Seite 56
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nur und machte sich an die Arbeit. Alice Bendig lief auf die Straße zurück. Der Spuk schien vorbei zu sein. Sie bahnte sich einen Weg durch die mit hastenden Menschen und Fahrzeugen überfüllten Straßen und erreichte am Alten Markt eine vollbesetzte Straßenbahn, die gerade anfuhr. In ihrer Dienststelle, der Ersatzeinheit der Division »Feldherrnhalle« in der Ungerkaserne, herrschte ein aufgeregter Betrieb. Die Kollegin, die sie hätte ablösen sollen, war wie die anderen Zivilangestellten verschwunden, und am Klappenschrank brannten sämtliche Lichter wie an einem Christbaum. Alice Bendig kam drei Tage und drei Nächte nicht mehr vom Klappenschrank weg. Fieberhaft richtete man sich auf die Verteidigung der Stadt ein. Auf dem Papier waren dafür drei Divisionen vorgesehen. Tatsächlich standen Oberst Schöpffer, dem Kampfkommandanten der Stadt, nur die Ersatzeinheiten der Division »Feldherrnhalle« etwa in Regimentsstärke, ein Volkssturmbataillon, und eine Volkssturmbatterie mit 8,8 cm Geschützen aus den Schichauwerken zur Verfügung. Am Ende waren es jedoch insgesamt etwa 10000 Mann, weil sich verschiedene Regimenter und Kampfeinheiten von außerhalb auf die Stadt zurückgezogen hatten. Sie reichten aus, um den Kern der Stadt, weit innerhalb der Panzergräben, zu verteidigen. In leerstehenden Häusern wurden Panzerabwehrtrupps stationiert und Maschinengewehrnester eingerichtet, während die Artilleriebeobachter auf den Dachböden der Wohnhäuser und Kaserne Stellung bezogen.

An jenem entscheidenden 23. Januar war auch Oberbürgermeister Dr. Leser nicht mehr aus seinem Büro herausgekommen. Kurz nach dem Durchzug der Panzer ordnete die Kreisleitung Räumungsstufe 3 an (alle Zivilisten und nicht zur Verteidigung benötigten Personen hatten über ihre Ortsgruppensammelstellen sofort die Stadt zu verlassen). Dr. Leser sah sich um. Außer ein paar alten Amtsleitern, die sich die Strapazen einer Flucht nicht mehr zutrauten, war das Rathaus längst leer. Über den Friedrich-Wilhelm-Platz zogen Zivilisten scharenweise mit Handwagen, Koffern und Rucksäcken in Richtung Bahnhof und Elbingbrücke. Für die meisten gab es jetzt kein Halten mehr,

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und niemand fragte nach einem Abmeldeschein. Kurz vor Mitternacht rief der Kreisleiter wieder an. »Der Räumungsbefehl ist aufgehoben. Alles hat dazubleiben!« Dr. Leser wandte vorsichtig ein, daß seine Leute schon längst fort seien. »Gauleiter Forster hat mir gesagt, daß er jeden Behördenleiter erschießen läßt, der nicht auf seinem Posten bleibt!« Am 24. Januar gelang es noch, die Krankenhäuser und das Gefängnis nach Danzig zu evakuieren. Aber im Lauf des Tages ging jede Ordnung verloren. Pausenlos strömten Flüchtlinge, zurückgehende Einheiten, Stäbe, versprengte Soldaten von Osten und Süden her und stauten sich an der einzigen über den Elbingfluß nach Westen führenden Brücke. Wahllos weggeworfenes Flüchtlingsgut - Koffer, Kisten, Betten, Schreibmaschinen, Kleinmöbel, Kleidungsstücke - säumte die Straßen. Es war ein Elendszug alter, total erschöpfter Leute, wimmernder Kinder, junger Frauen mit schreienden Säuglingen. Vor der Ungerkaserne hielt eine Offiziersstreife jeden Wehrmacht-Lkw an, holte flüchtende Soldaten herunter und ließ dafür die am Straßenrand wartenden Mütter mit Kindern aufsitzen. Doch nur wenige kamen auf diese Weise noch aus der Stadt. Kälte und Hunger ließen viele Flüchtlinge verzagen. Sie quartierten sich in leerstehenden Häusern und Wohnungen ein, in der Hoffnung, daß alles bald vorüber sein werde.

Am Donnerstag, dem 25. Januar, erschienen zwei Oberfeldwebel der Marine beim Oberbürgermeister. Sie hatten den Auftrag, zwei Torpedobootneubauten der Schichauwerft abzuholen und über Pillau nach Eckernförde zu bringen. »Wir können jede Menge Flüchtlinge mitnehmen«, sagte der eine von ihnen, »aber wir legen in etwa drei Stunden ab.« Die Nachricht sprach sich unter den Elbingern sofort herum. Tausende stürmten zum Elbing-Ufer, um vor der Torpedoboothelling auf den Abtransport zu warten. Zur gleichen Zeit begannen die Russen, sich mit Stalinorgeln auf die Stadt einzuschießen. Einige Geschosse schlugen in die wartende Menge. Mehrere Tote und Verletzte blieben liegen, während der Rest

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schreiend auseinanderlief. Das Werftpersonal machte die Leinen los, aus Angst, die Boote kämen überhaupt nicht mehr weg. Etwa vierhundert Menschen gelang es noch, an Bord zu kommen. Dann schwammen die Schiffe den Elbingfluß hinunter in Richtung Frisches Haff.

Am 26. Januar hatten sich die Russen in breiter Linie im Osten Elbings schon bis an das Frische Haff bei Tolkemit vorgeschoben, womit Ostpreußen nur noch über die Frische Nehrung mit dem Westen verbunden blieb. Im Süden und im Westen standen die Russen zwischen Fichthorst und Zeyer. Die Stadt war von drei Seiten eingeschlossen. Am Drausensee - einem Naturschutzgebiet - war eine russische 17-cm-Batterie in Stellung gegangen und schoß pausenlos in die Stadt. Auch das freigebliebene Stück Weichselniederung im Nordwesten der Stadt lag unter feindlichem Beschuß. Der Flüchtlingszustrom hörte auf.

Mehrere Artillerieeinschläge hatten das Elektrizitätswerk außer Betrieb gesetzt. Mit den elektrischen Pumpen war auch die Wasserversorgung ausgefallen. Die immer zahlreicher werdenden Brände breiteten sich ungehindert aus. Die Feuerwehr hatte sich samt Fahrzeugen abgesetzt: Als einige reichseigene Löschfahrzeuge nach Danzig zurückgebracht werden sollten, hatten sich die Braven mit ihren Löschzügen einfach angeschlossen. Mit Ausnahme des Luftschutzarztes gab es auch in der ganzen Stadt keinen einzigen zivilen Arzt mehr. Und seit der Abfahrt der Torpedoboote war auch die gesamte Kreisleitung verschwunden.

Am 28. Januar ließ der Artilleriebeschuß merklich nach. Die Sowjets mußten ihre Geschütze nach Osten und Westen statt nach Norden richten. Im Osten waren drei Divisionen der deutschen 4. Armee in die Zangenbewegung der Russen gestoßen, um den Rücken der Armee freizukämpfen und über Elbing die Verbindung nach Westen wieder herzustellen. Im Westen war die 7. deutsche Panzerdivision zum Gegenangriff angetreten. Oberbürgermeister Dr. Leser und Oberst Schöpffer fuhren zusammen ans linke Elbingufer, um sich die Befreiung anzusehen. Sie trafen auf eine Vorhut von fünf Panzern. Nach einer kurzen

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Begrüßung der Panzermänner fuhren Schöpffer und Dr. Leser zu einer kurzen Inspektionsfahrt nach Süden weiter. Nach wenigen Kilometern gerieten sie jedoch schon in feindliches Feuer und mußten sich über das Eis des Flusses in den Schutz der Häuser zurückziehen. Die Lage dort war alles andere als rosig. Fast überall hatten die Russen Gelände gewonnen und standen in den Vororten, aus denen sich die Verteidiger Haus um Haus zurückziehen mußten. Vorbei an den Trümmern zerschossener Häuser bahnten sie sich ihren Weg zurück. Im Stadtgarten war noch immer die Volksküche der unermüdlichen NSV-Helfer in Betrieb. Vor der langen Baracke stand eine Schlange Soldaten, verstörter Frauen und Kinder, die sich in allen möglichen Behältern ihre Portion Kartoffelsuppe abholten. Die Kreissparkasse gegenüber dem Rathaus stand in hellen Flammen.

Als Dr. Leser auf den Rathaushof kam, standen dort zwei knallrote Doppeldecker-Busse, aus denen gerade eine Menge Leute, Zivilisten und Uniformierte, ausstiegen. Die Busse kamen aus Danzig und waren im Schutz der Panzer der 7. Panzerdivision an den Russen vorbeigefahren. Irgendein hundertprozentiger Endkämpfer in der Danziger Gauleitung hatte diesen Transport veranlaßt. Unter den Insassen befanden sich Elbings vollzählige Feuerwehr, drei Ärzte, mehrere Krankenschwestern, Polizisten, eine Gruppe Volkssturmmänner mit Panzerfäusten und eine Anzahl Parteileute, die man in Danzig offenbar loswerden wollte.

Wichtigster Mann unter den Ankömmlingen war der zurückgekehrte Direktor der Elbinger Elektrizitätswerke. Er machte sich sofort mit einigen Arbeitern auf den Weg zum E-Werk. Und kurz nach Einbruch der Dunkelheit geschah etwas, womit niemand gerechnet hatte: in der ganzen Stadt gingen die Lichter an. Die Russen reagierten sofort. Ein Feuerhagel ergoß sich über die Stadt, als sei Elbing eine hellerleuchtete Schießbude. Oberst Schöpffer mußte zwei Kradmelder ins E-Werk schicken, um den Strom wieder abstellen zu lassen.

Nachdem die Sowjets am 30. Januar den auf dem linken Elbingufer gelegenen Stadtteil Grubenhagen ein zweites Mal besetzt

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hatten, war Elbing hermetisch abgeriegelt. Drei Tage lang war die sowjetische 48. Armee in schwerer Bedrängnis gewesen und hatte unter den Angriffen der deutschen 4. Armee etwa 30 Kilometer zurückweichen müssen. Einen Tag lang sah es so aus, als könnten die deutschen Truppen südlich Elbing bis Marienburg vorstoßen und damit den Ring um Ostpreußen aufbrechen. Aber der deutsche Angriff blieb weit vor Elbing stecken, die Sowjets warfen mehrere Korps und fünf Panzerbrigaden in die gefährdete Front und drängten schließlich die deutschen Truppen zurück.

Alice Bendig saß unverdrossen an ihrem Klappenschrank und vermittelte die Gespräche zu den Gefechtsständen. Es waren nur noch wenige Leitungen offen, seit die Russen ihr Artilleriefeuer auf die Innenstadt konzentrierten. Von ihrem Fenster sah sie, wie ein Oberleutnant und ein paar Feldwebel von der Genesungskompanie im Garten zwischen der Kasernenmauer und dem Kasernengebäude ein Massengrab aushoben und dort 25 Gefallene beerdigten. Es war nicht viel mehr als eine Geste, denn überall in den Straßen lagen tote Soldaten und Zivilisten. Alice Bendig war nur noch einmal in ihrem Haus gewesen. Es war geplündert und der Keller war voller fremder Menschen. Sie war froh, daß sie ihre Kinder noch rechtzeitig fortgeschickt hatte.

In den Kellern Elbings lebten zu diesem Zeitpunkt noch etwa 20000 Flüchtlinge und Einheimische. Wer in den tiefen Brauereikellern oder in Bunkern Unterkunft gefunden hatte, war einigermaßen sicher, doch die anderen lebten in ständiger Angst, daß ihnen das Haus über dem Kopf zusammengeschossen wurde und sie sich einen anderen Keller suchen mußten.
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Am Morgen des 4. Februar rissen den Oberbürgermeister Artillerieeinschläge am Rathaus aus dem Schlaf. Hastig kleidete er sich an. Seine braune Uniform hatte er schon vor Tagen in den Schrank gehängt und trug jetzt seine Offiziersuniform als Hauptmann der Reserve. Als er in den Keller des alten Gebäudes hinunterkam, saßen da einige Beamte der Stadtverwaltung und die Flüchtlinge; in den Kellern des Neubaues, in denen Kreisleitung, Polizei und die Luftschutzzentrale untergebracht waren, befand sich kein Mensch mehr. Niemand wußte etwas.

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Auf einem der Schreibtische stand das Telefon mit der einzigen noch intakten Verbindung nach Danzig. Zögernd hob er den Telefonhörer ab. Am Danziger Ende meldete sich Kapitän z. S. Hartmann, der ihm in blumiger Umschreibung mitteilte, daß der neuernannte Befehlshaber der Heeresgruppe Weichsel, Heinrich Himmler, bei einer Besprechung in Marienburg ihnen auf einer großen Karte die Stoßrichtung jeder Menge neuer Panzerdivisionen gezeigt habe, und daß sich die Lage stabilisiere. Elbing werde auf jeden Fall als Brücke zwischen Ost- und Westpreußen gehalten. Dr. Leser sagte nur: »Das ist ja sehr schön«, und legte auf.

Daß Elbing verloren war, lag auf der Hand. Die Frage war nur, ob man überhaupt noch aus dem Schlamassel herauskommen würde. Gegen Mittag trat eine Feuerpause ein. Die Russen schickten einen gefangenen deutschen Unteroffizier mit der Aufforderung zur Übergabe in die Stadt. Oberst Schöpffer schrieb »Zur Kenntnis genommen. Schöpffer« auf das Papier und schickte den Mann wieder fort. Die Feuerpause nutzte die Besatzung der Ungerkaserne in der Königsberger Straße zum Rückzug auf das Gymnasium, das etwa 600 Meter vom Ufer des Elbingflusses entfernt liegt. Alice Bendig machte die Fahrt in einem Panzerspähwagen, während die meisten Soldaten ihren Weg zu Fuß suchten. Später zogen auch die Besatzung des Rathauses und der Gefechtsstand des Kampfkommandanten in die Schule um.

Die Nachrichtenverbindung zu den kämpfenden Truppenteilen hielt ein Nachrichtenzug aufrecht, dessen Strippenzieher dauernd unterwegs waren, um die zerschossenen Leitungen zu reparieren. Einen Klappenschrank gab es nicht mehr. Die beherzte Nachrichtenhelferin half dem Regimentsarzt Dr. Kretzschmar, der vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen stehen konnte. Sie legte Verbände an, gab Spritzen, tröstete, drückte Augen zu, wo immer einer starb. Als sie das nicht mehr aushielt, schlich sie sich hinunter zu dem Seiteneingang an der Ziesestraße. Dort hatte früher in den Unterrichtspausen der Pedell gestanden und das große Schultor beobachtet, damit niemand während der

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Pause in die Stadt entwich. Jetzt war da nur Dreck und Rauch: die Russen belegten die Straße mit Artillerie- und MG-Feuer. Auf der Herfahrt hatte Alice Bendig Verwundete auf der Straße liegen sehen. Im Schutz der Hauswand kroch sie hinaus. Sie gelangte zum ersten, nahm ihr Koppel ab und hakte es bei ihm ein. Dann zog sie ihn Zentimeter um Zentimeter in die Schule. Kaum wußte sie ihn in der Obhut der Sanitäter, war sie schon wieder draußen, um den nächsten auf die gleiche Art in Sicherheit zu bringen. Alice Bendig arbeitete verbissen. Sie holte Mann um Mann herein - bis ein sowjetischer Scharfschütze sie entdeckte. Sie warf sich unter einen Treppenaufgang, während dicht über ihr Schuß um Schuß in die Türfüllung krachte. Der beißende Geruch der Explosivgeschosse stieg ihr in die Nase. Mit einem gewaltigen Satz rettete sie sich auf die andere Straßenseite und verschwand im Eingang eines Luftschutzkellers. Der Keller war voller Menschen: alte Leute, Frauen und Kinder hockten apathisch an den Wänden im Kerzenschein. Auf einem Kohlenhaufen lagen mehrere verwundete Soldaten, die um Wasser bettelten. Einer flüsterte ihr zu: »Hau ab und laß uns hier krepieren. Es ist ja sowieso alles vorbei.« Der Gestank war fürchterlich. Alice Bendig machte, daß sie zurückkam. Dabei sah sie, daß der Nordgiebel des Gymnasiums von einem schweren Geschoß weggerissen worden war. Die Oberleitung der Straßenbahn lag auf dem Pflaster. Überall Glassplitter und Gebäudetrümmer, Staubwolken und ohrenbetäubender Lärm.

Die Russen schickten noch mehrmals Parlamentäre, die jedoch jedesmal unverrichteter Dinge wieder umkehren mußten. Einmal war es eine Gruppe von Einwohnern aus der von den Russen besetzten Nordstadt. Unter ihnen war eine Frau, die mehrmals von den Russen vergewaltigt worden war und die man wieder ziehen lassen mußte. Sie hatte sich später doch noch retten können und fuhr im März von Danzig mit einem Schiff nach Westen. Am Vormittag des 9. Februar rief Generaloberst Weiß an und stellte es Oberst Schöpffer frei, nach Nordwesten auszubrechen. Himmler hatte angeordnet, auf dem westlichen Ufer des Elbingflusses

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in der Höhe des großen Schichaulagers einen Brückenkopf zu bilden, durch den Entsatzkräfte in die Stadt geführt werden sollten. Niemand in der Stadt glaubte an diese Möglichkeit. Noch kämpften die Soldaten um jedes Haus, jeden Straßenzug. Aus der Heinrich-von-Plauen-Schule kam ein Hilferuf: die Russen hatten die umliegenden Häuser besetzt und schickten sich an, das Lazarett zu stürmen. Gegen 18 Uhr brach in der Schule eine wilde Schießerei aus. 2400 Verwundete und vier Ärzte mit ihren Sanitätern waren dem Geschoßhagel der angreifenden Russen ausgeliefert. Ihr Schicksal hat sich nie aufgeklärt. Die Verteidiger Elbings hatten keine Wahl mehr, sie mußten die Schwerverwundeten und Tausende hilfloser Zivilisten zurücklassen. Mancher war dieser Belastung nicht gewachsen und erschoß sich - wie der Batteriechef einer Flakstellung in Lärchwalde. Andere drehten durch und liefen einfach den Russen ins Feuer.

Als Oberst Schöpffer um 18 Uhr mit seinem Stab aufbrach, sollten ein Panzer und zwei Panzerspähwagen den Weg an einer von den Russen besetzten großen Volksschule vorbei freischießen. Der Angriff blieb im Feuer der Sowjets liegen. Es gab nur noch den Weg durch Hinterhöfe und Schrebergärten. Einheit um Einheit sickerte durch das unübersichtliche Gelände. Auf allen Seiten verstärkte sich der Gefechtslärm, als sich die deutschen Truppenreste vom Gegner lösten und sich den Weg zum Ufer erkämpften. Der Russe hatte die Absicht der Deutschen noch nicht entdeckt, aber das Feuer war so stark, daß sie immer wieder für längere Zeit in Deckung gehen mußten.

Die Übergangsstelle am Fluß lag im Feuerschein eines brennenden Holzlagers. Nach einigen vergeblichen Versuchen, aus Brettern und Balken ein Floß herzustellen, kam ein Pionierfeldwebel auf den Gedanken, einen weiter unterhalb liegenden Kohlenkahn flottzumachen. Mit beängstigendem Lärm lichteten die Pioniere den Anker. Als Fährseil diente ein zerschossenes Überlandkabel, das Schwimmer ans andere Ufer brachten. Alice Bendig hatte sich ihren Soldaten angeschlossen und war

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in den Schrebergärten auf die Gruppe von Oberst Schöpffer gestoßen. Der Schein der Brände ringsum warf gespenstische Schatten. Immer wieder blitzten Einschläge auf, und MG-Geschosse pfiffen ihnen um die Ohren. Die junge Frau war bis an die Zähne bewaffnet - sie würde ihr Leben so teuer wie möglich verkaufen. Schweigend kämpften sich die Soldaten voran. Plötzlich fiel ein Hauptmann neben der Nachrichtenhelferin um. Es war nur ein Streifschuß. Sie brachte ihn wieder zu sich und stützte ihn beim Gehen. Es hatte keinen Sinn, nach einem Arzt zu rufen. Sie hörte nur immer wieder das Schreien der Verwundeten. Außer Feuer war nichts zu sehen. Als sich dann doch ein Arzt einfand, half der im Gehen, so gut er konnte. Es war schon fast Morgen, als Alice Bendig den Fluß überquerte und erleichtert den Fuß ans andere Ufer setzte. Sie war nur wenige hundert Meter gegangen, als eine Granate einem Feldwebel in ihrer Nähe die linke Hand abriß. Sie half den Mann zu verbinden - und setzte ihren Weg fort. Nichts schien mehr Gewicht zu haben. Es war alles gleich dumpf, gleich schrecklich.

Kahnladung um Kahnladung wurde über den stillen Fluß gezogen. Gegen 5 Uhr morgens - etwa 1200 Mann der kämpfenden Truppe und 500 Verwundete waren ans andere Ufer gebracht worden - gab es eine böse Überraschung. Die Spitze der Ausbrechenden war in ein Barackenlager gestoßen, das nicht, wie erwartet, von der 7. Panzerdivision, sondern von Russen gehalten wurde. In einer wilden Schießerei wurden die Sowjets verjagt. Später schoß deutsche Artillerie in den nach Nordwesten rückenden Haufen, weil ihn ein junger Beobachtungsoffizier für angreifende Russen hielt. Es gab wieder Tote und Verwundete.

Erst gegen Mittag war alles vorüber. Unter die letzten Truppen an der Fähre hatte sich auch eine Anzahl Männer, Frauen und Kinder aus Elbings Kellern gemischt - bis ein sowjetisches Pak-Geschütz den Kahn auf Grund schickte. Etwa 4200 Menschen gelang der Weg in die Freiheit. Auf ihrem Weg nach Nordwesten, in Richtung Danzig, hörten sie noch die

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Schüsse des hinter ihnen in Elbing einsetzenden Gemetzels, aber die Schreie der Frauen und Kinder in den Kellern der zerstörten Stadt vernahmen sie nicht mehr. In Danzig trafen sie ein Leben voller Betriebsamkeit an, wie sie es aus Elbing vor dem 23. Januar kannten: die Straßenbahnen fuhren, Leute flanierten auf der Langgasse und kauften ein. Die Kinos spielten denselben Film wie in Elbing: »Opfergang« von Binding - und die Flüchtlinge verstopften die Straßen zum Hafen. Manche Häuser standen schon leer. Fritz Leser beschlich ein banges Gefühl, und er vermied es, in die Keller zu sehen.

In der Leibhusarenkaserne in Danzig-Langfuhr improvisierte man eine kleine Feier zu Ehren von Alice Bendig - sie war mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden. Zwei Wochen später war sie auf der Fahrt zum Einsatz in Ungarn, wo sie das Ende des Krieges erlebte. Ihre Kinder fand sie erst lange nach Kriegsende wieder.

Viele Grüße
Torsten

  
« Letzte Änderung: 05.03.11 (23:59) von Heimatschuss »

IM

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Re:Frauen mit dem Eisernen Kreuz
« Antwort #117 am: 06.03.11 (08:35) »
Und wieder ganz große Klasse !!

Vielen Dank für die ganze Mühe mit dem Abtippen.



Für Alice Bendig haben wir bis jetzt folgenden Eintrag:

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Wehrmachtshelferin Alice Bendig
EK II Anfang März 1945 (genaues Datum unbekannt, die Verleihung wird in einem Zeitungsartikel vom 8. März 1945 verkündet)

Die Verleihung erfolgte für ihren Einsatz in der Festung Elbing. Unter Beschuß versah sie ihren Dienst in einer Fernsprechvermittlung und ermöglichte dadurch dem Festungskommandaten das Führen seiner Kampfverbände.

Hier der Link zum gefundenen Zeitungsartikel:

http://forum.balsi.de/index.php?topic=5833.msg44560#msg44560

Der Dienst in der Fernsprechvermittlung war dann wohl nur ein Teil, der zur Verleihung beitrug. Aus Deinem Bericht kann man noch hinzufügen, daß sie sich in vorderster Linie auch um die Verwundeten kümmerte, um es mal ganz kurz zu sagen.


Der zweite interessante Punkt ist der. Aus dem Zeitungsartikel könnte man eigentlich entnehmen, daß Alice Bendig und Hildegard Bellgardt gemeinsam ihren Dienst versahen. Das scheint so aber nicht gewesen zu sein, da Bellgardt mit keinem Wort erwähnt wird.


Und noch etwas war mir aufgefallen. Als ich das mit der russischen Panzerkompanie unter Hauptmann Djatschenko gelesen hatte, fiel mir ein, daß ich da doch schon mal etwas hatte, was ich damit sofort in Verbindung brachte.

Schaut mal hier:

http://forum.balsi.de/index.php?topic=6184.0

Nur paßt das nicht mit den Angaben aus Deinem Bericht. Da wird ein Oberst Schöpffer als Kampfkommandant von Elbing genannt. So bliebe weiterhin die Frage, wer war denn nun wirklich der Kommandeur in Elbing ? Auf alle Fälle paßt der Bericht über Hauptmann Djatschenko erst einmal zu meinem Zeitungsartikel über General Freytag.

IM

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Re:Frauen mit dem Eisernen Kreuz
« Antwort #118 am: 06.03.11 (08:44) »
Ich habe gerade noch mal nachgeschaut.

Oberst Eberhard Schoepffer wurde am 9. Februar 1945 mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet, und zwar als Kampfkommandant von Elbing.

Bereits am 14. Juni 1942 war er mit dem Deutschen Kreuz in Gold ausgezeichnet worden. Ebenfalls als Oberst und Kommandeur Infanterieregiment 377.
« Letzte Änderung: 06.03.11 (09:14) von IM »

Heimatschuss

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Re:Frauen mit dem Eisernen Kreuz
« Antwort #119 am: 06.03.11 (10:06) »
Hallo IM,

vielen Dank. Ganz so schlimm war's nicht mit dem Arbeitsaufwand dank Einscannen und Texterkennung.  ;D

Das Fehlen von Hildegard Bellgardt in dem Bericht ist mir auch aufgefallen. Ich habe mir dafür zwei mögliche Erklärungen zusammengereimt:

1) Alice Bendig war vom 23. - 26.01.1945 allein in der Vermittlung (S.56, "3 Tage ohne Pause"). Dann kam Frau Bellgardt dazu und sie arbeiteten wieder im Schichtdienst, hatten also wenig miteinander zu tun.

2) Hildegard Bellgardt hatte am 23.01. die Tagesschicht und ist jene Kollegin, die Alice Bendig schon nicht mehr am Arbeitplatz vorfand, als sie in die Kaserne kam (S.56). Um ihr Ärger zu ersparen, meldete Bendig das aber nicht. Solange die Vermittung funktionierte, hat in der Situation wahrscheinlich niemand nachgesehen. Später hieß es dann nur: "Die Vermittlung hat ja die ganze Zeit prima funktioniert, wie heißen denn die Damen da? Die kriegen jetzt auch einen Orden!". Und da H. Bellgardt ja eigentlich dort sein sollte, kam sie dann mit auf die Liste.

Schwachpunkt de 2. Hypothese ist die Frage, wie die Vermittlung vom 26.01. (Alice Bendig macht Pause) bis 04.02. (Aufgabe der Ungerkaserne) permanent funktioniert haben soll. Irgendjemand muß da ja neben Alice Bendig tätig gewesen sein. Von daher spricht alles für Erklärungsansatz 1. Jedenfalls war Hildegard Bellgardt offensichtlich nicht bei der späteren Verleihung des EK II in Danzig dabei.

Dafür spricht auch ein Eintrag beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (www.volksbund.de):
  
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Nachname: Bellgardt
Vorname: Hildegard
Geburtsdatum: 11.08.1911
Geburtsort: Preußisch Stargard
Todes-/Vermisstendatum: 01.01.1945
Todes-/Vermisstenort: Elbing

Nach den uns vorliegenden Informationen ist Hildegard Bellgardt seit 01.01.1945 vermisst.
In dem Gedenkbuch des Friedhofes Bartossen / Bartosze haben wir den Namen und die persönlichen Daten des Obengenannten verzeichnet.

Kurze Anmerkung: In der Nomenklatur des VdK kann 01.01.1945 bedeuten '01. Januar 1945' oder einfach 'Januar 1945' oder auch einfach '1945'.

Viele Grüße
Torsten
« Letzte Änderung: 06.03.11 (10:22) von Heimatschuss »