Hallo Erwin,
das ist ein sehr interessantes Thema, das mich schon in der Vergangenheit ein wenig beschäftigte.
Ich bin weit davon entfernt, die SED-Herrschaft schönreden zu wollen. Ich habe schließlich selbst erlebt, wie wenig sie ihren eigen Ansprüchen gerecht wurde. Allerdings mache ich mir - wenn ich solche Texte lese - auch so meine Gedanken darüber, wie plausibel diese sein können. Und wenn ich dann so etwas lese wie: „Stipendiatin im Stipendiumprogramm "SED-Geschichte" der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ – kommt mir unwillkürlich der Spruch „Wes’ Brot ich eß, des Lied ich sing.“ in den Sinn.
Vergegenwärtigt man sich, daß die SED-Führungsriege (und nicht nur die) unter der NS-Herrschaft fast geschlossen im Zuchthaus und ähnlichen Einrichtungen saß, (also an Leib und Leben bedroht war) fällt es schwer, zu glauben, daß diese Leute mit ihren nicht nur ideologischen Todfeinden plötzlich die besten Kumpels gewesen sein sollen. Es ist die fehlende Logik, die mich veranlaßt, zu hinterfragen.
Zur Ausgangssituation: Die NSDAP war eine ausgesprochene Massenorganisation. Sie hatte zuletzt 8 Mio. Mitglieder. Bei einer Bevölkerung von etwa 70 Millionen entspricht das also einem Anteil von 11,4 % an der Gesamtbevölkerung – also einschließlich Greisen, Kindern und Frauen. Wie hoch der Anteil dann an der arbeitenden Bevölkerung gewesen ist, mag sich jeder selbst ausmalen. Noch einmal deutlich höher dürfte er in den Kreisen der sogenannten „Eliten“ bzw. auch des rein fachlichen Führungspersonals gewesen sein.
Es war also schlichtweg unmöglich, eine Wirtschaft wieder auf die Beine zu bringen, ohne auf ehemalige NSDAP-Mitglieder zurückzugreifen. Die Frage ist nur, wie mit dieser Problematik umgegangen wurde – was war die Regel, und was war die Ausnahme?
Der verlinkte Artikel erinnert mich ein wenig an den etwas bemüht wirkenden Versuch Olaf Kappelts, mit seinem „Braunbuch DDR“ eine Antwort auf das Braunbuch Albert Nordens geben zu wollen. Warum „bemüht wirkend“? Nun, es lohnt sich, sich die einzelnen Lebensläufe der Ex-NSDAP-Mitglieder näher anzusehen.
Während in Nordens Braunbuch in der 3. Auflage 2.300 Personen genannt werden, die nicht nur nach, sondern vor allem auch
vor 1945 Spitzenpositionen in Politik, Wirtschaft und Justiz innehatten, reichte bei Kappelt schon die alleinige NSDAP-Mitgliedschaft, um erwähnt zu werden. In der Regel waren das dann Leute, die mit 17-18 Jahren in die Partei eingetreten, bzw. vor 1945 recht „kleine Lichter“ waren und erst danach Karriere machten. Oft wurden auch Offiziere und Soldaten genannt, die in der Kriegsgefangenschaft in das NKFD bzw. in den BDO eintraten. Solchen Leuten drohte in D. immerhin der Prozess wegen Hochverrats. Nicht wenige von ihnen wurden in Abwesenheit zum Tode verurteilt.
Dazu hier zwei relevante Links:
http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_ehemaliger_NSDAP-Mitglieder,_die_nach_Mai_1945_politisch_t%C3%A4tig_warenhttp://www.braunbuch.de/Vergleicht man Nordens Braunbuch mit dem Gegen-Braunbuch Kappelts, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß es sich hier um zwei völlig unterschiedliche Kaliber handelt, daß hier zwei gegenläufige Trends miteinander gleichgesetzt werden sollen. Selbst wenn es Mühe macht, sich durch das Propaganda-Deutsch der Norden-Schrift durchzuarbeiten - die dort genannten Fakten stimmen. Götz Aly hat dieser Publikation eine Fehlerquote von deutlich unter einem Prozent bescheinigt. Oberländer, Globke und Kiesinger waren nur die Spitze eines Eisberges. Götz Aly dazu: „Der Haupteinwand, der heute gegen das Braunbuch erhoben werden kann, besteht darin, dass es zu wenige Namen nannte.“
Unterm Strich finde ich es schade, daß in o.g. verlinkten Artikel die Lebensläufe nicht genauer ausgeleuchtet wurden. Die beiden Personen, bei denen das geschieht, waren gerade 17 und 18, als sie 1944 in die NSDAP eintraten. Es ist geradezu lächerlich, dies thematisieren zu wollen. Wirklich interessant wäre es gewesen, etwas mehr über die 22 Leute zu erfahren, die schon vor 1944 eingetreten waren. Denn nur so wäre eine objektive Beurteilung möglich gewesen. So jedoch bleibt dieser Artikel blaß und wenig überzeugend und setzt sich dem Verdacht aus, Kappelts allzu durchschaubarem Muster zu folgen.
Gruß Falk