Weil´s hier um die Ecke liegt und ich am Sonntag hin muss, hab ich mich mal schlau gemacht:
Zum nationalsozialistischen Gedankengut gehörte auch die Ausmerzung lebensunwerten Lebens, also die Tötung von Menschen, die aufgrund diverser Gebrechen nicht (mehr) in der Lage waren, einen Beitrag zum Sozialprodukt zu leisten, kurz: Behinderter. Die Motivation war nicht wie bei der Judenverfolgung eine rein ideologische, vielmehr folgte sie nutzorientierten Kriterien:
- Schonung der öffentlichen Finanzen
- Einsparung (knapper) Nahrungsmittel
- Freisetzung von Ärzten und Pflegern für (kriegs-) wichtigere Aufgaben
- Umwandlung der Behindertenheime in Krankenhäuser, Lazarette, Kasernen (die Aktion T4 wurde „im Westwallgebiet“ gestartet)
Die Euthanasie wurde bereits in den Dreissigern vorgedacht, von Adolf Hitler persönlich aber bis zum Kriegsausbruch zurückgestellt. Im Krieg war eine solche Aktion seiner Meinung nach eher begründ- und durchsetzbar, bzw. würde relativiert, im besten Falle gar nicht wahrgenommen.
Durchgeführt wurde die Aktion von der Organisation T(iergarten) 4, benannt nach ihrem Dienstsitz in Berlin, daher auch der Name Aktion T4. Der Aktion T4 fielen reichsweit etwa 70.000 Behinderte zum Opfer, im württembergischen Grafeneck, in der T4 am 18. Januar 1940 gestartet wurde, 10.654 – etwa 50% der Insassen der Behindertenanstalten im Erfassungsgebiet Baden, Württemberg, Hohenzollern.
Die Aktion lief sofort nach Kriegsbeginn an, die Insassen des Samariterstifts Grafeneck wurden nach anderen Heimen verbracht und die erforderlichen baulichen Maßnahmen eingeleitet. Diese umfassten im wesentlichen eine Gaskammer, ein Krematorium und Schutzzäunungen.
Das Personal wurde reichsweit rekrutiert und umfasste neben den Ärzten, Pfleger, Schreibkräfte, Wachpersonal, Hilfskräfte und Fahrer. Den Ärzten wurde ihre zukünftige Tätigkeit selbstverständlich geschildert, eine Ablehnung war konsequenzlos möglich. Die Chargen wurden nicht informiert und durch Geheimhaltungserklärungen strikt vergattert. Dem Wachpersonal wurden auch einige Uschas der „Totenkopf“-Vorläuferstandarten zugeteilt. Die SS war bei T4 zwar nicht federführend aber vielfach involviert: Gestellung des Wachpersonals aus den Reihen der Waffen-SS, einiger SS-Ärzte und von nichtmedizinischem Führungspersonal.
Ziel der Aktion waren Behinderte
- deren Arbeitsfähigkeit eingeschränkt war
- die länger als fünf Jahre in einer Anstalt lebten
- die gerichtlich in eine Anstalt eingewiesen wurden
- die nichtdeutschen Blutes waren
Die Vergasungen wurden bemerkenswert professionell durchgeführt. Verwendet wurde 1940 noch Kohlenmonoxyd. Die Kapazität der Gaskammer entsprach der der „grauen Busse“, die die Opfer herankarrten. Die Behinderten mussten sich nach ihrer Ankunft ausziehen, wurden ärztlich gemustert, geschlossen in die Gaskammer gebracht und getötet. Die Leichen wurden in drei fahrbaren Krematorien eingeäschert.
Auf Geheimhaltung wurde bei der Aktion großen Wert gelegt, letztlich ohne jeden Erfolg. Die Hinterbliebenen erhielten gefälschte Totenscheine. Für die Beurkundung wurde ein eigener Notar beschäftigt. Dokumente und Urnen wurden nicht vom nahegelegenen aber kleinen Münsingen, sondern aus Ulm, Stuttgart und anderen grösseren Städten verschickt. Trotz der Konspiration flog die Aktion von Anfang an auf, es waren einach zu viele Familien betroffen. Angehörige, Honoratioren, Kirchen protestierten reichsweit bis hin zum Führer. Die Aktion wurde zum Jahresende 1940 abgebrochen. Da das reichsweite Ziel (20% der Anstaltsinsassen) im Einzugsgebiet Grafenecks weit übertroffen wurde, ist das allerdings kaum auf den Widerstand zurückzuführen.
Dr. Schumann, der erste Leiter Grafenecks wurde später Lagerarzt in Auschwitz. Christian Wirth, Büroleiter, errichtete und kommandierte das Vernichtungslager Belzec und war dann Inspekteur der V-Lager Belzec, Sobibor und Treblinka, blieb also dick im Vergasungsgeschäft. Kurt Franz, der Küchenchef (!!) wurder letzter Kommandeur von Treblinka.
Irgendwelche von Richtschütze behaupteten Parallelen zu US-amerikanischen Syphilisexperimenten scheinen beim gegenwärtigen Forschungsstand nicht belegbar zu sein.