Autor Thema: Unternehmen "Tomka"  (Gelesen 6227 mal)

IM

  • Moderator
  • Stammmitglied
  • *****
  • Beiträge: 7695
Unternehmen "Tomka"
« am: 12.10.10 (20:19) »
Ich habe gerade einen, schon etwas älteren Artikel aus der "Zeit" gelesen. Es geht um die deutsche Jagdflieger-Ausbildung im russischen Lipezk zur Zeit der Weimarer Republik. Der Artikel ansich ist sehr gut. Im Text fand ich ein Stichwort, mit dem ich persönlich erst einmal nichts anfangen konnte, daher begann ich zu googeln, ...

Zuerst fand ich, daß der gemeinte Artikel auch im Netz zu finden ist, und zwar hier:

http://www.zeit.de/2010/31/Lipezk-Fliegerschule


Gestolpert war ich über folgenden Absatz:

Zitat
Während Deutschland taktische Erfahrung und technisches Know-how vermittelte, stellte Sowjetrussland Truppenübungsplätze zur Verfügung und gab logistische Unterstützung. So erprobte die Reichswehr in Kasan Panzerkampfwagen und übte im Unternehmen »Tomka« an der Wolga mit chemischen Kampfstoffen. In Lipezk schließlich bildete sie etliche Sommer lang Jagdflieger aus und ließ Fluggerät testen.

Lipezk und Kasan waren mir bekannt. Nur mit dem sogenannten Unternehmen "Tomka" konnte ich nichts anfangen.

Im Netz ließ sich auf die Schnelle nichts darüber finden, ... bis auf einen weiteren Artikel, ebenfalls aus der "Zeit", vom gleichen Autor, und direkt über das Unternehmen "Tomka".

Dieser wäre hier zu finden:

http://www.zeit.de/2006/26/A-Tomka


Vielleicht interessiert es ja noch jemanden, ...

Balsi

  • Moderator
  • Stammmitglied
  • *****
  • Beiträge: 6622
Re:Unternehmen "Tomka"
« Antwort #1 am: 12.10.10 (22:42) »
ich kann mich dunkel erinnern auch mal etwas über einen 3. Standort gelesen zu haben..aber wo?.. grrrr....

Uwe H. Färber

  • Gast
Die Rw.Führung richtete im Jahr 1923 die "Zentrale Moskau" - kurz "Z Mo." genannt - ein, die dem Chef des Truppenamtes, sp. der Heeresabteilung T 3 (Fremde Heere), unmittelbar unterstand. Die Aufgaben der Zentrale umfassten die Steuerung aller politischen, militärischen und wirtschaftlichen Vorgänge im Rahmen der dt.-russ. Vereinbarungen. Ferner führte die Zentrale laufend verhandlungen mit Dienststellen der "Roten Armee" und sonstigen Ämtern in Moskau, wobei sie von der dortigen Dt. Botschaft unterstützt wurde. Oberst a.D. Lieth-Thomsen - im Ersten Weltkrieg Ch.d.Gen.St. der Luftstreitkräfte und Ritter des "Pour le Mérite" - wurde erster Chef der Zentrale. Im Sept. wurde er von Major a.D. Dr. Ritter von Niedermayer abgelöst.
Die "Zentrale Moskau" vereinbarte mit dem Oberkommando der "Roten Armee" u.a. folgende Punkte:
1.)
Zur Verfügungstellung militärischer Stützpunkte für Ausbildungszwecke von Luftwaffe, Panzertruppe und Gaskrieg,
2.)
Aktionsfreiheit für Ausbildung und technische Erprobung auf diesen drei Gebieten,
3.)
Gegenseitiger Austausch von Erfahrungen und Kenntnissen.
Die wirtschaftlichen Beziehungen hatten sich unterdessen ebenfalls vertieft. Die "Gesellschaft zur Förderung gewerblicher Unternehmungen" richtete ihre Büros in Berlin und Moskau ein und begann 1923 mit den zugesagten Aufbauhilfen. Deutsche Techniker, Ingenieure und Monteure - v.a. aber deutsches Geld - gingen in die SU. Noch 1923 wurde mit dem Aufbau folgender Rüstungsbetriebe begonnen, die sich bis in den Zweiten Weltkrieg hinein halten sollten: Waffenfabriken in Zlatust (Ural), Tula bei Moskau und Schlüsselburg. Kolpino, südostwärts von Leningrad, wurden die Putilov Werke errichtet, in denen später der "T-34" gebaut wurde und die noch Panzer herstellten, als die dt. Front im Herbst 1941 lediglich wenige km vor den Werksanlagen zum Stehen kam. Die Fa. Junkers baute in Fili bei Moskau eine Flugzeugfabrik auf, die allerdings 1927 ihren Betrieb einstellen musste.

Bei Bedarf Fortsetzung.

IM

  • Moderator
  • Stammmitglied
  • *****
  • Beiträge: 7695
Re:Unternehmen "Tomka"
« Antwort #3 am: 22.10.10 (22:46) »
Vielen Dank für den Einwurf, ...

Gibt es vielleicht speziell zu "Tomka" noch etwas ? Mir selbst war dies komplett neu.

Uwe H. Färber

  • Gast
Re:Unternehmen "Tomka"
« Antwort #4 am: 23.10.10 (14:21) »
Fortsetzung: "Tomka"
Während die Ausbildung in Lipezk von Anfang an reibungslos verlief, begannen sich inzwischen die anderen beiden milit. Einrichtungen zu etablieren. Die "Rote Armee" sagte endlich 1927 zu, dass das Truppenamt, und hier die Inspektion der Artillerie, eine Gaskampfschule errichten konnte. Die russ. Armee stellte eine bereits bestehende Anlage bei Saratow dem Heer zur Verfügung. Aus Tarnungsgründen erhielt die Schule die Bezeichnung "Tomka"; das war ein fingierter Name.
Nachdem die dt. Armee aufgrund des Versailler Vertrages alle noch vorhandenen Gaskampfstoffe unter Aufsicht der Interalliierten Kontrollkommission zwischen 1919 und 1924 auf den früheren Gasplatz Breloh in der Lüneburger Heide vernichten musste, gab es keinerlei Einrichtung in Deutschland, an und in der ein zukünftiger Gaskrieg erprobt werden konnte.
Das Rw.Ministerium gründete unter Umgehung der Versailler Bestimmungen am 09.11.1923 eine Kommission für chemische Fragen und beauftragte 1924 die Inspektion der Artillerie (In 4) im Truppenamt mit der praktischen Erprobung neuer chemischer Mittel und entsprechender Kriegsführung.
Der Schulbetrieb in "Tomka" lief nur zögernd an. Er kam erst in Fluss, als 1930/31 der bayer. Art.Hptm. Ochsner in die Inspektion der Artillerie nach Berlin versetzt wurde und mit der Funktion eines Beauftragten für den Gaskrieg betraut wurde. Die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges (Blasangriff, Gaswerfereinsatz, Artillerieeinsatz) konnten in "Tomka" vertieft und erweitert werden. Dabei zeigte es sich, dass man zwei Wege beschreiten musste: Aufbau einer Nebeltruppe und Entwicklung einer Raketenwaffe. Aufgrund dieser Erfahrungen konnte im Sommer 1933 in Königsbrück bei Dresden eine Art.Abt. aufgestellt werden, die mit 10 cm-Nebelwerfer ausgerüstet wurde. Major Ochsner wurde erster Abt.Kdr.; die 2. Bttr. führte Hptm. Dr. Dornberger, der spätere Schöpfer der dt. Raketenwaffe. Ochsner wurde 1935 Chef des Stabes der neugebildeten Nebeltruppe und bei Kriegsende war er General der Nebeltruppe im OKH.
Die zweite Phase in der Gasausbildung erbrachte die Entwicklung neuer Kampfstoffe auf diesem Gebiet. Hier hatten die Russen inzwischen gute Fortschritte gemacht. Dt. Wissenschaftler, Chemiker und Techniker, wurden nach Ckalov (dem früheren Orenburg) am Ural berufen, um an der Seite der russ. Wissenschaftler mit- und weiterzuarbeiten.

Ãœber die Gas-Erprobung in Russland ist nichts bekannt.


IM

  • Moderator
  • Stammmitglied
  • *****
  • Beiträge: 7695
Re:Unternehmen "Tomka"
« Antwort #5 am: 23.10.10 (15:55) »
Erneut vielen Dank für die Ausführungen.

In den von mir verlinkten Zeitungsartikeln wurde ja erwähnt, daß die deutsche Betätigung in Rußland den Alliierten durchaus kein Geheimnis war.

Wurde dagegen eigentlich etwas unternommen ? Sonst war man ja auch strikt darauf bedacht, daß der Versailler Vertrag eingehalten wurde.

Uwe H. Färber

  • Gast
Re:Unternehmen "Tomka"
« Antwort #6 am: 23.10.10 (19:56) »
Na ja, bei wirtschaftlichen Interessen ...

Es wurde ja von eine "Gesellschaft zur Förderung gewerblicher Unternehmungen" (GEFU) als Tarngesellschaft gegründet, die die späteren Rüstungsgeschäfte zwischen Russland und Deutschland abwickeln sollte.
Die Reichsregierung hatte durch das HWA 50 Jagdflugzeuge vom Typ "Fokker D XIII" bei der niederländischen Fa. Fokker angekauft, welche getarnt als Handelsware mit Schiffen nach Petrograd (1924: Leningrad) gebracht wurden.
Die Transportfrage war für die "Z. Mo." ein Problem, da aus Geheimhaltungsgründen Polen als Durchgangsland ausfiel. Daher stand für den Landtransport nur die E-Strecke Königsberg-Kowno-Dünaburg-Smolensk-Moskau zur Verfügung.
Die mit dem Zug einreisenden dt. Offz. und Techniker mussten die verschiedenen Grenzen Deutschland-Litauen, Litauen-Lettland und schlußendlich Lettland-Sowjetunion mit falschen Pässen passieren!
Lufttransport fiel ebenfalls aus, da es noch keine Trsp.-Maschinen in dem Sinne gab. Deswegen lag der Schwerpunkt auf dem Seeweg, der aber durch das Zufrieren des Finn. Meerbusens im Winter kaum genutzt werden konnte.
Die Masse der Güter ging von Stettin nach Leningrad. Besonders geheimes und nicht zu tarnendes Material (z.Bsp. Flugzeugbomben, hochwertige Munition uvm.) wurde auf kleinen Seglern verladen und "schwarz" über die Ostsee gebracht.
Nicht ohne Brisanz war, dass die bei britischen Firmen bestellte Waren (Flugzeugmotoren) auf ähnlichen Wege und unter ähnlichen Umständen nach Deutschland geschleust wurden.

Es war bei den Alllierten demnach ein "offenes" Geheimnis.
Natürlich gibt es mehr Informationen über dem Lw.Stützpunkt Lipezk und die Pz.Schule Kasan derzeit.