Autor Thema: Ãœbertritte zwischen extremer Linken und Rechten  (Gelesen 12986 mal)

steffen04

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Nationalsozialismus und Kommunismus sind in der Praxis ja eine Soße, und auch ideologisch gibt es eine Menge Überschneidungen. Der linke NSDAP-Flügel (natürlich Strasser, aber auch Goebbels) sympathisierte immer eher mit der Kommune als mit der Plutokratie – folgerichtig gab es auch Übertritte zwischen den Parteien, respektive ihrer Unterorganisationen.

Frage: Kennt wer prominente Fälle?

Ich bin bisher auf zwei interessante Fälle gestossen:
Ernst Torgler, Fraktionsvorsitzender der KPD im Reichstag bis 33, 1935 aus der KPD ausgeschlossen.
Bei Kriegsbeginn verfasste er „kommunistische Agitationstexte gegen Frankreich und Großbritannien.
Ab 1941 arbeitete er für die „Treuhandstelle Ost“, die jüdischen und polnischen Besitz in den besetzten Gebieten arisierte. Nach dem Krieg wollte er wieder in die KPD, schaffte es 1949 aber nur in die SPD.

Eugen Mossakowski, Leiter der Zeitschrift „Nationalsozialistische Pressekonferenz“, NS-Linker, trat kurz vor der Machtergreifung zur KPD über. Wie es 33 weiterging weiss ich nicht. Darwin-Award? Vor seiner NS-Karriere war er bei der sächsischen SPD, dann bei einer Splittergruppe, die Alte SPD nannte. Als die wieder in der SPD aufging, ging Mossakowski zur NSDAP.

In der Bundesrepublik gibt es natürlich Horst Mahler, der von der RAF zu den Nazis wechselte.

Zusatzfrage: In meiner Jugend las ich mal einen Romanüber einen jungen Kommunisten, der zur SA ging, weil ihm die schlagkräftiger erschien. Als er der Meinung war, daß die NSDAP sich vom Kapital hat kaufen lassen, wechselte er zurück zur Kommune. Der Autor hatte einen englischen Namen, der Titel war ein gängiges Schlagwort ("Die Fahne hoch" o.ä.). Kennt das jemand?

Ostpreuße

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Re:Ãœbertritte zwischen extremer Linken und Rechten
« Antwort #1 am: 23.06.10 (13:27) »
Nationalsozialismus und Kommunismus sind in der Praxis ja eine Soße, und auch ideologisch gibt es eine Menge Überschneidungen. Der linke NSDAP-Flügel (natürlich Strasser, aber auch Goebbels) sympathisierte immer eher mit der Kommune als mit der Plutokratie ...

Moin moin,

ja das könnte man glauben, wenn man sich oberflächlich mit der Materie beschäftigt. Und so dürfte es auch einigen Leuten gegangen sein, die zwischen den Parteien wechselten. Jedoch waren die Nazis nicht ansatzweise Sozialisten (oder Kommunisten).

Die Kernfrage - der Dreh- und Angelpunkt - der Sozialismustheorie ist die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln durch deren Vergesellschaftung bzw. Verstaatlichung.

Zitat:
„Alle soziale Abhängigkeit und Unterdrückung wurzelt in der ökonomischen Abhängigkeit des Unterdrückten vom Unterdrücker.“ (August Bebel)

Trotz aller Unterschiede und Richtungskämpfe zwischen den verschiedenen Strömungen ist die Aufhebung dieser ökonomischen Abhängigkeit, die sich aus der kapitalistischen Produktionsweise ergibt, das zentrale Anliegen aller Sozialisten/ Kommunisten.

Dagegen war das scheinbare Bekenntnis der Nazis zum Sozialismus nichts weiter als kaltblütige Taktik. Hitler hatte nie die Absicht, Produktionsmittel zu verstaatlichen.

Zitat:
“Das linke Etikett trug diese Ideologie vor allem aus machttaktischen Erwägungen
(...)
im Jahre 1930 war die NSDAP nach der Vorstellung Hitlers "sozialistisch", um sich den Stimmungswert einer populären Vokabel zunutze zu machen
(...)
Wie das Bekenntnis zur Tradition, zu konservativen Wertvorstellungen oder zum Christentum gehörten die sozialistischen Parolen ins manipulationsfähige Vorfeld, das der Tarnung, der Verwirrung diente und nach Opportunitätsmotiven mit wechselnden Schlagwörtern bestückt war. Wie zynisch zumindest an der Spitze die Programmgrundsätze mißachtet wurden, erfuhr einer der jungen enthusiastischen Überläufer zur Partei im Gespräch mit Goebbels; auf die Bemerkung, daß Feders Brechung der Zinsknechtschaft doch ein Element des Sozialismus enthalte, bekam er zur Antwort, brechen müsse höchstens der, der diesen Unsinn anhöre.“ (Joachim Fest, Hitler, 1995)

Als der linke Flügel um Otto Strasser diesen Widerspruch begriff und Hitler 1930 zur Rede stellte, wurde ebendieser Flügel kurzerhand entmachtet.

Zitat:
„Am 4. Juli [1930/JL] verkündeten daraufhin Otto Strassers Zeitungen: "Die Sozialisten verlassen die NSDAP!" Aber kaum jemand folgte ihm, die Partei besaß, so stellte sich heraus, fast keine Sozialisten und überhaupt kaum Menschen, die ihr politisches Verhalten theoretisch gedeutet wissen wollten. (...) Das Ausscheiden Otto Strassers beendete nicht nur ein für allemal den sozialistischen Grundsatzstreit in der NSDAP, es bedeutete auch einen erheblichen Machtverlust für Gregor Strasser, der seither keine Hausmacht und keine Zeitung mehr besaß.“ (Joachim Fest, Hitler, 1995)

http://www.ns-archiv.de/nsdap/sozialisten/sozialisten-verlassen-nsdap.php

Und vor genau diesem Hintergrund erklärt sich auch die enge Zusammenarbeit der Nazis mit der Wirtschaft.

Gruß Falk

steffen04

  • Gast
Re:Ãœbertritte zwischen extremer Linken und Rechten
« Antwort #2 am: 23.06.10 (14:25) »
Nationalsozialismus und Kommunismus sind in der Praxis ja eine Soße, und auch ideologisch gibt es eine Menge Überschneidungen. Der linke NSDAP-Flügel (natürlich Strasser, aber auch Goebbels) sympathisierte immer eher mit der Kommune als mit der Plutokratie ...

Moin moin,

ja das könnte man glauben, wenn man sich oberflächlich mit der Materie beschäftigt. Und so dürfte es auch einigen Leuten gegangen sein, die zwischen den Parteien wechselten. Jedoch waren die Nazis nicht ansatzweise Sozialisten (oder Kommunisten).

[/quote]

Bis klar war, daß Hitler sich in der Partei durchsetzen würde konnte sich jeder im Parteiprogramm aussuchen, ob er jetzt mitmarschiert, weil er gerne nationaler Sozialist, Antisemit, Lebensraum im Osten-Eroberer oder einfach nur Sieg-Heil-Schreier sein wollte. Strasser und Co waren sowas ähnliches wie Sozialisten, auch wenn sie sich nicht durchsetzen konnten.

Tatsächlich marschierte der NS-Staat mit den SS-Betrieben, Hermann-Göring-Werken, Wolfsburg etc. ein gutes Stück in Richtung Abschaffung des Privateigentums. Planwirtschaft (bei Beibehaltung des Privateigentums) bestand schon früh für praktisch alle Bereiche der Wirtschaft.

Hitler paktierte mit dem Kapital, weil er sich nicht zu viele Gegner auf einmal machen wollte, ein überzeugter Wirtschaftsliberaler war er aber wohl eher nicht
 
Wie auch immer: mir geht´s nicht um Systemtheorie sondern um die Wechselfälle des politischen Lebens, sprich Personen.

Kennt wer welche?

Nomen Nescio

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Re:Ãœbertritte zwischen extremer Linken und Rechten
« Antwort #3 am: 23.06.10 (19:54) »
Wie auch immer: mir geht´s nicht um Systemtheorie sondern um die Wechselfälle des politischen Lebens, sprich Personen.

Kennt wer welche?
Sag mal zuerst ob Du meinst bevor WK II, oder nach WK II. Denn nach WK II wurden ziemlich viel Braunen in der DDR plötzlich rot !!
Und Braunen in der BRD waren plötzlich farblos. Womit gleich feststeht, daß die Reinigungsmittel in der BRD besser waren als in der DDR.  Da hatte man aber auch nicht Persil.  ;D

Ostpreuße

  • Gast
Re:Ãœbertritte zwischen extremer Linken und Rechten
« Antwort #4 am: 23.06.10 (22:50) »
Vollzitat

Die Gründung von ein paar Betrieben durch Staat und Partei bedeutet noch lange nicht Abschaffung des Privateigentums - und ist nicht ansatzweise systemrelevant. Die Leute, die tatsächlich die Verstaatlichung von Konzernen wollten, kamen 1933 ins Zuchthaus und KZ.

Fakt ist, daß sich die deutsche Wirtschaft in diesen 12 Jahren dumm und dusselig verdient hat. Die Deutsche Bank z.B. hat in dieser Zeit ihre Aktiva verdreifacht. Eines der Glanzlichter wirtschaftlicher Denkweise war die Errichtung einer Munitionsfabrik - des sogenannten „Berthawerkes“ durch Krupp direkt neben Auschwitz. Es gab praktisch kaum einen Bereich der Wirtschaft, der nicht von der Zwangsarbeit profitierte.

Exorbitante Rüstung, Zwangsarbeit und Raub. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie eine Politik aussehen soll, die noch wirtschaftsliberaler ist.

steffen04

  • Gast
Re:Ãœbertritte zwischen extremer Linken und Rechten
« Antwort #5 am: 23.06.10 (23:40) »
Wie auch immer: mir geht´s nicht um Systemtheorie sondern um die Wechselfälle des politischen Lebens, sprich Personen.

Kennt wer welche?
Sag mal zuerst ob Du meinst bevor WK II, oder nach WK II. Denn nach WK II wurden ziemlich viel Braunen in der DDR plötzlich rot !!
Und Braunen in der BRD waren plötzlich farblos. Womit gleich feststeht, daß die Reinigungsmittel in der BRD besser waren als in der DDR.  Da hatte man aber auch nicht Persil.  ;D

Die "Farblosen" in der BRD sind Legion, daher langweilig. Wechselfälle wie Horst Mahler finde ich aber spannend.

steffen04

  • Gast
Re:Ãœbertritte zwischen extremer Linken und Rechten
« Antwort #6 am: 23.06.10 (23:48) »
Exorbitante Rüstung, Zwangsarbeit und Raub. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie eine Politik aussehen soll, die noch wirtschaftsliberaler ist.

"Wirtschaftsliberal" bedeutet ohne staatliche Einmischung.

Zwangsarbeit und Raub/Beschlagnahme/Plünderung jüdischen und osteuropäischen Besitzes geschahen durch staatl. Stellen. Die Wirtschaft wurde zwar (noch) nicht "nationalisiert", ihrer Gestaltungsfreiheit aber weitgehend beraubt und in Vierjahrespläne und ein Zuteilungsregime gezwängt. Die Bevorzugung der Großbetriebe ist ein weiteres Indiz für eine zunehmende Abschaffung eines freien Wirtschaftssystems. Es existierte weder ein freier Arbeitsmarkt noch ein freier Aussenhandel. Der Zugang zu Rohstoffen war schon lange vor dem Krieg reglementiert. Die staatlichen Eingriffe gingen bis zur Preisfestlegung und Veräusserungsverboten von Produktionsmitteln z.B. in der Landwirtschaft.

Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie eine Politik aussehen soll, die weniger wirtschaftsliberal ist. Außer natürlich  "Sozialismus" ohne "National-"
« Letzte Änderung: 24.06.10 (01:01) von steffen04 »

Ostpreuße

  • Gast
Re:Ãœbertritte zwischen extremer Linken und Rechten
« Antwort #7 am: 24.06.10 (11:01) »
Zwangsarbeit und Raub/Beschlagnahme/Plünderung jüdischen und osteuropäischen Besitzes geschahen durch staatl. Stellen.

Zwischen 1939 und 1945 arbeiteten 12 Millionen Zwangsarbeiter aus allen teilen Europas in Deutschland. Diese Zwangsarbeiter arbeiteten nicht für staatliche Stellen sondern wurden für eine geringe Leihgebühr der Wirtschaft überlassen. Der Anteil der Zwangsarbeiter an der Belegschaft lag regelmäßig zwischen 25 und 60%. Es gab praktisch auf jedem Bauernhof mindestens einen Zwangsarbeiter.

Krupp „beschäftigte“ etwa 100.000 Zwangsarbeiter. Krupp war keine staatliche Stelle. Adam Opel AG war keine staatliche Stelle, BASF war keine staatliche Stelle, BMW, Borsig, Continental, Daimler Benz, Degussa, Flick, Mannesmann, Thyssen – das waren alles keine staatlichen Stellen. Ich kann Dir bei Bedarf eine Liste mit 2.498 Firmen vorlegen, die allesamt keine staatlichen Stellen waren und trotzdem Zwangsarbeiter für sich arbeiten ließen. Und diese Liste erhebt beileibe keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Auch Raub war beileibe kein Privileg staatlicher Stellen. Stichwort Arisierung: So übernahm Alfried Krupp die Reederei Blumenfeld, die Dresdner Bank übernahm die Bankhäuser Bleichröder und Gebrüder Arnhold, Mannesmann die Metallwerke Wolff, Netter & Jacoby und die Röhrenwerke samt dem Lübecker Hochofenwerk. Auch Quandt (BMW), Schickedanz (Quelle), Horten usw. usw. – das waren alles keine staatlichen Stellen.

Wie groß dieser Sumpf tatsächlich war, wird z.B. hier ansatzweise angedeutet: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13526450.html

Und jetzt soll mir mal noch jemand allen Ernstes erzählen, die dt. Wirtschaft hätte in der NS-Zeit nicht exorbitant profitiert. Sorry, aber das ist geradezu lächerlich.
« Letzte Änderung: 24.06.10 (12:08) von Ostpreuße »

Balsi

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Re:Ãœbertritte zwischen extremer Linken und Rechten
« Antwort #8 am: 24.06.10 (11:49) »
Falk...sehr interessant was Du schreibst keine Frage..aber passt nicht zum Thema..bitte an die Vorgabe halten.

steffen04

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Re:Ãœbertritte zwischen extremer Linken und Rechten
« Antwort #9 am: 24.06.10 (15:43) »
Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich möchte nicht das Verhalten der Privatwirtschaft zwischen 33 und 45 rechtfertigen. Aber ohne staatliche Rückendeckung hätte Zwangsarbeit, Raub etc..  nicht geklappt. Marktwirtschaftlich oder wirtschaftsliberal war das damals eindeutig nicht.

Deswegen Dank an Balsi und zurück zum Start:

Prominente "Wechselwähler" zwischen extremer Linker und extremer Rechter im 20. Jahrhundert, gern auch außerhalb Deutschlands



Ostpreuße

  • Gast
Re:Ãœbertritte zwischen extremer Linken und Rechten
« Antwort #10 am: 24.06.10 (16:24) »
Aber ohne staatliche Rückendeckung hätte Zwangsarbeit, Raub etc..  nicht geklappt.

Nun ich würde „Staat“ und „Wirtschaft“ nicht als zwei voneinander völlig losgelöste Einheiten betrachten. Die Verflechtungen waren auch damals schon sehr, sehr eng. Lobbyismus ist schließlich nicht erst eine Erfindung der Gegenwart. Und wie er funktioniert, darüber macht sich der Durchschnittsmichel keine Vorstellung. (aktueller Lesetip: http://www.amazon.de/Die-Strippenzieher-Manager-Minister-Deutschland/dp/3430130115)


Und hier noch mein Alibi-Beitrag zum Thema: Harri Bading

steffen04

  • Gast
Re:Ãœbertritte zwischen extremer Linken und Rechten
« Antwort #11 am: 24.06.10 (17:39) »
Was war mit Harri Bading? Wikipedia gibt da nichts spektakuläres her.

Bei den Franzosen müsste es einiges zu finden geben. Mitterand hat´s ja auch vom Petainisten zum sozialistischen Präsidenten geschafft.

Ostpreuße

  • Gast
Re:Ãœbertritte zwischen extremer Linken und Rechten
« Antwort #12 am: 24.06.10 (18:00) »
Nö, wirklich spektakulär war das sicher nicht. Etwas spektakulärer waren z.T. die Biografien dieser Leute:

Richard Scheringer
Alexander Graf Stenbock-Fermor
Arnold Vieth von Golßenau
Bodo Uhse
Wilhelm Korn,
Rudolf Rehm
(Kurt?) Lorf
Ernst Ottwalt
Josef „Beppo“ Römer



steffen04

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Re:Ãœbertritte zwischen extremer Linken und Rechten
« Antwort #13 am: 28.06.10 (09:27) »
erstmal danke, werde ich mir umgehend genauer anschauen

Brandenburger

  • Gast
Re:Ãœbertritte zwischen extremer Linken und Rechten
« Antwort #14 am: 17.07.10 (16:08) »
Arnold Vieht von Golzenau ?
War der auch in der NSDAP?

 

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