Autor Thema: Gerd Schultze-Rhonhof  (Gelesen 36180 mal)

Alfons Zitterbacke

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Re:Gerd Schultze-Rhonhof
« Antwort #30 am: 20.02.10 (18:50) »
@ Balsi

Dazu schreibt Diewald (Der Kampf um die Weltmeere):

Deutschland besaß Küsten von beträchtlicher Länge. Selbst wenn es weniger gewesen wären, hätte die industrielle Erschließung seiner Gebiete, das dicht verflochtene Eisenbahnnetz, die Produktionskraft der großen und rasch anwachsenden Bevölkerung unweigerlich zu einer engen Verbindung mit dem Welthandel geführt. Das mußte unabwendbar Bewegung in die traditionell begründete Rangordnung der Seenationen bringen, denn die Industrie relativierte auch die Bedeutung natürlicher Vorzüge wie denjenigen langer Küsten.
Das unerhörte Tempo der wirtschaftlichen-industriellen Veränderungen im letzten Jahrhundertviertel [1875] läßt sich am eindeutigsten an den Exportzahlen ablesen. Vergleicht man sie mit den englischen Daten, so zeichnet sich ab, wie das seebeherrschende Großbritannien mit dem Rücken an die Wand gedrückt wurde - nicht von Hasardeuren, sondern durch die Eigengesetzlichkeit des Wettbewerbs. In diesem Areal kam es nicht auf politische Herrschaftsprivilegien an, hier zählte ausschließlich Nachfrage und Produktion, Qualität und Preis - alles Faktoren, die England selbst zur erfolgreichsten Industrienation des Erdballs gemacht hatten. Wann sich die Umwälzungen in der Wirtschaft, in der Industrie und im Handel auch auf die politischen Verhältnisse in Europa und sein Beziehungssystem auswirken würde, war wesentlich eine Frage der Zeit und nicht nur ein Problem des staatsmännischen Augenmaßes oder der diplomatischen Delikatesse.
Großbritannien besaß im Jahre 1883 eine Flotte von Schlachtschiffen, deren Größe etwa die Summe aller Schlachtschiffe der anderen Großmächte entsprach. Während der folgenden eineinhalb Jahrzehnte erhöhte sich der englische Bestand von 38 auf 62, Frankreich verdoppelte seine Einheiten von 19 auf 36, Rußland steigerte sie von 3 auf 18, Italien von 7 auf 12, die USA, die wie Japan 1883 noch keine modernen Kriegsschiffe besaßen, hatten 1897 bereits 11 auf Kiel gelegt oder vom Stapel gelassen; in Japan waren es 7. Das Deutsche Reich erhöhte in derselben Zeit seinen Bestand von 11 auf 12; prozentual war das die geringste Steigerung unter allen Mächten.
Im November des Jahres 1897 hob Kaiser Wilhelm II. in seiner Thronrede die Notwendigkeit hervor, mit dem Bau einer starken Flotte zu beginnen: "Wenngleich es nicht unsere Aufgabe sein kann, den Seemächten ersten Ranges gleichzukommen, so muß Deutschland sich doch in den Stand gesetzt sehen, auch durch seine Rüstung zur See sein Ansehen unter den Völkern der Erde zu behaupten."

waldi44

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Re:Gerd Schultze-Rhonhof
« Antwort #31 am: 20.02.10 (20:01) »
die Gründung des Deutschen Reiches fiel ja gerade in den beginnenden Imperialismus, der ja keine dt. Erfindung war. Deutschland kam lediglich zu spät. Sprich die zivilisatorischen Fehler hatten andere schon hinter sich. Ist das nicht der Punkt? Die 12 Jahre NS-Zeit waren schlimm..keine Frage. Aber ist es dann nicht auch einfacher eh gleich mal die halbe Geschichte mit in den Topf zu werfen? Kaiserreich.. alles schlecht..und musste ja auf Hitler abzielen, Bismarck alles schlecht.. der wusste das nur ein Hitler helfen kann... Kleinstaaterei.. alles schlecht..hätten sich mal halt zusammenschliessen sollen. Letztlich ist doch nichts an der dt. Geschichte "gut", so lange der dt. Michel nicht versuchte seinen Kopf hinter Mutters Ofen rauszusstecken. Aber wenn wir die Emanzipation jedem Land zugestehen..dann müssen wir das doch auch unserem Land zugestehen.

Die Geschichte anderer Staaten wird gemeinhin als entwicklungsspezifisch hingenommen.. "es war halt so"..unsere eigene besteht irgendwie nur aus Fehlern und grundsätzlich stets militant. Aber der Urgesellschaft waren die Menschen auf dem heutigen Gebiet Deutschlands stets damit beschäftigt..Pläne auszuhecken, wie sie den Nachbarn den Hintern versohlen können.

Tja Balsi, "es war halt so", auch mit Deutschland. In der Physik widerspricht ja auch niemand, wenn der Lehrsatz lautet: Wo ein Körper ist, kann kein zweiter sein! Wenn doch, so gibt es Reibung und Verdrändung- ist eben so! Warum sollte es beim Auftauchen Deutschlands auf dem internationalen Podest anders gewesen sein? Warum sollten die etablierten Mächte die neue Grossmchat mit offenen Händen empfangen, ihm Kolonien schenken und Rechte einräumen, die sie sich in Jahrhunderten durch Kämpfe und millionen Tote geschaffen hatten?
Weil wir das HEUTE als Gerecht empfinden? Damals dachte man da eben anders- das wird doch immer betont. Man muss die Ereignisse aus der Zeit, dem Zeitgeist heraus verstehen und beurteilen- dem von damals, nicht von heute.
"Hoppla jetzt komm ich" funktioniert nur bei Hans Albers und der "Platz an der Sonne" ist eben erst neuerdings per Los zu kaufen. Deutschland kam zu spät - "es war halt so" und worauf erhob man Anspruch? Auf den Besitzstand anderer und ihr verlangt von denen, dass sie den freudig mit der neuen Grossmacht teilen sollten, weil Deutschland ja ein Recht darauf hatte. Ein Recht worauf bzw. woraus begründet? Weil andere es auch hatten? Also Neid oder was?
Deutschland mit seinen Ansprüchen wollte die Karten neu mischen, die anderen aber nicht. Kann man beiden das Verdenken? Deutschland nicht und den etablierten Mächten nicht und was dann kam, kam fast zwangsläufig...

Nomen Nescio

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Re:Gerd Schultze-Rhonhof
« Antwort #32 am: 20.02.10 (21:26) »
die Gründung des Deutschen Reiches fiel ja gerade in den beginnenden Imperialismus, der ja keine dt. Erfindung war. Deutschland kam lediglich zu spät. Sprich die zivilisatorischen Fehler hatten andere schon hinter sich. Ist das nicht der Punkt? Die 12 Jahre NS-Zeit waren schlimm..keine Frage. Aber ist es dann nicht auch einfacher eh gleich mal die halbe Geschichte mit in den Topf zu werfen? Kaiserreich.. alles schlecht..und musste ja auf Hitler abzielen, Bismarck alles schlecht.. der wusste das nur ein Hitler helfen kann... Kleinstaaterei.. alles schlecht..hätten sich mal halt zusammenschliessen sollen. Letztlich ist doch nichts an der dt. Geschichte "gut", so lange der dt. Michel nicht versuchte seinen Kopf hinter Mutters Ofen rauszusstecken. Aber wenn wir die Emanzipation jedem Land zugestehen..dann müssen wir das doch auch unserem Land zugestehen.

Die Geschichte anderer Staaten wird gemeinhin als entwicklungsspezifisch hingenommen.. "es war halt so"..unsere eigene besteht irgendwie nur aus Fehlern und grundsätzlich stets militant. Aber der Urgesellschaft waren die Menschen auf dem heutigen Gebiet Deutschlands stets damit beschäftigt..Pläne auszuhecken, wie sie den Nachbarn den Hintern versohlen können.
Zu Hause habe ich ein Buch aus etwa 1965: Die Geschichte Deutschlands.
Das wichtigste steht aber im Vorbericht. Ein Historiker konstatierte 1915 «Vor 100 Jahre waren die Franzosen die Verkörperung des Bösen und waren die Deutschen friedensliebend. Jetzt gilt genau das Umgekehrte. Die Wahrheit wird - wie immer - irgendwo im Mitten liegen».

Warum sage ich dies? Weil nachfolgende deutsche Regierungen ihr diplomatisch Können schlecht zeigten.
Bismarck wußte anzustreben, was erreichbar war. Auch wenn er bei der Annexion von Elsass-Lothringen - nolens volens durchs Militär dazu «gezwungen» - einen gravierenden Fehler machte.
Er zog aber die Konsequenzen, denn hatte die Weitsichtigkeit sich zu realisieren, daß es im Osten (Rußland) und im Westen (Frankreich) zwei Länder gab, die Deutschland nicht zugleich bekämpfen konnte.
Und darum gab es ein Vertrag zwischen Rußland und Deutschland.

Lese Mal, was Wiki hier sagt
Zitat
Mit der Entlassung Bismarcks 1890 zerfiel auch sein Bündnissystem in kurzer Zeit. Im Gegensatz zum konservativen „Realpolitiker" Bismarck führte der junge Kaiser Wilhelm II. eine provokante „Politik der freien Hand“, um Deutschland planmäßig auf die Bühne der Weltpolitik zu führen.

Als 1890 der Rückversicherungsvertrag trotz großen russischen Interesses nicht verlängert wurde, kam es 1894 zu einem russisch-französischen Abkommen, dem Zweiverband. So war der „Albtraum" Bismarcks, der in seiner Amtszeit versucht hatte, diese beiden Mächte auseinanderzuhalten, wahr geworden, und Deutschland drohte ein Zweifrontenkrieg.

Auch das Verhältnis zu Großbritannien verschlechterte sich durch Wilhelms Flottenpolitik immer weiter und führte zu einer britischen Annäherung an den früheren Erzfeind Frankreich, die am 8. April 1904 durch das britisch-französische Bündnis Entente cordiale besiegelt wurde. Nach dem Beitritt Russlands zu diesem Bündnis (Triple Entente) ergab sich eine Isolation des Deutschen Reiches im Machtgefüge der europäischen Großmächte anstelle der durch Bismarck erreichten Isolation Frankreichs.

Es fehlte die Deutsche Regierung und Kaiser an Fingerspitzgefühl. Nach und nach (Stichwort Marokkokrise) wurden Fehler auf Fehler gestapelt.

Zitat
Die Erste Marokkokrise (1905–1906) entstand, nachdem ein Bündnis zwischen Frankreich und Großbritannien den französischen Einfluss in Marokko abgesichert hatte (Sudanvertrag 1899).

Dies führte im Deutschen Reich wegen der befürchteten Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Interessen in Marokko zu internen Spannungen zwischen der Reichsregierung und dem Kaiser. Auf mehrfaches Drängen des Reichskanzlers Bernhard von Bülow gab Kaiser Wilhelm II. nach und besuchte am 31. März 1905 demonstrativ Tanger, um der deutschen Forderung nach einem Mitspracherecht in Marokko, die sich auf die Madrider Konvention von 1880 stützte, Nachdruck zu verleihen. In der Algeciras-Konferenz von 1906 konnte das Deutsche Reich zwar die faktische Übernahme der marokkanischen Märkte durch Frankreich, die dem geltenden Vertragswerk widersprochen hätte, verhindern, dennoch wurde seine Isolation sichtbar, zumal seine Ansprüche auf der Konferenz nur von Marokko selbst und auf der internationalen Bühne von Österreich-Ungarn unterstützt wurden. Die Beziehungen zwischen Großbritannien und Frankreich festigten sich durch dieses Ereignis weiter.
Zitat
Die zweite Marokkokrise, auch als Panthersprung nach Agadir bekannt, wurde 1911 durch die Entsendung[1] des deutschen Kanonenboots SMS Panther nach Agadir ausgelöst, nachdem französische Truppen Fès und Rabat besetzt hatten. Die am 1. Juli 1911 eingetroffene Panther wurde nach wenigen Tagen durch zwei andere deutsche Kriegsschiffe (SMS Berlin, SMS Eber) ersetzt.[2] Ziel der deutschen Aktion war die Abtretung von Kolonial-Gebieten Frankreichs an das Deutsche Reich als Gegenleistung für die Akzeptanz der französischen Herrschaft über Marokko in Folge der ersten Marokkokrise. Drohgebärden wie die Entsendung der Panther sollten dieser Forderung Nachdruck verleihen.

Wohl fälschlicherweise glaubte Großbritannien, das Ziel des Deutschen Reiches sei die Errichtung einer Flottenbasis in Agadir, um von dort aus die äußerst wichtigen britischen Seeverbindungen nach Ägypten und Indien zu bedrohen. Zu diesem Zeitpunkt stand das Deutsch-Britische Wettrüsten auf dem Höhepunkt, die Beziehungen zwischen beiden Ländern waren äußerst angespannt. Deutschlands Ziel war es lediglich, Druck auf Frankreich auszuüben. Die deutsche Regierung unter Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg hielt es jedoch nicht für nötig, andere Mächte dabei zu konsultieren, was zu dem Missverständnis beitrug. Als Folge dessen schlug sich Großbritannien auf die Seite Frankreichs, das daraufhin nicht zu den erhofften Zugeständnissen bereit war. Das jetzt isolierte Deutsche Reich drohte daraufhin immer offener mit Krieg, wollte diesen gleichzeitig aber nicht riskieren. Darauf fing die kriegserregte deutsche Öffentlichkeit an, Kaiser Wilhelm II. Feigheit vorzuwerfen, und Politiker, die einen Präventivkrieg forderten, gewannen an Einfluss.

Die Krise wurde schließlich am 4. November 1911 mit dem Marokko-Kongo-Vertrag beigelegt, indem das Deutsche Reich auf seine Ansprüche in Marokko verzichtete und dafür mit einem Teil der französischen Kolonie Französisch-Äquatorialafrika (Neukamerun) entschädigt wurde. Die Gebietsgewinne waren nur ein Bruchteil dessen, was die deutsche Regierung angestrebt hatte. Durch diese Krise wurde die außenpolitische Isolation des Deutschen Reichs in Europa weiter verschärft.
Und währenddessen wurde schon mit Erfolg an den Pfoten von Deutschland gesägt durch die französischen Diplomaten.

Der vllt größte Fehler ist m.M.n. daß ein Vertrag mit Österreich wichtiger schien als ein Vertrag mit Rußland. Diesen Fehler hätte Bismarck nie gemacht.

Stahlgewitter

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Re:Gerd Schultze-Rhonhof
« Antwort #33 am: 20.02.10 (21:29) »
Tja Balsi, "es war halt so", auch mit Deutschland. In der Physik widerspricht ja auch niemand, wenn der Lehrsatz lautet: Wo ein Körper ist, kann kein zweiter sein! Wenn doch, so gibt es Reibung und Verdrändung- ist eben so! Warum sollte es beim Auftauchen Deutschlands auf dem internationalen Podest anders gewesen sein? Warum sollten die etablierten Mächte die neue Grossmchat mit offenen Händen empfangen, ihm Kolonien schenken und Rechte einräumen, die sie sich in Jahrhunderten durch Kämpfe und millionen Tote geschaffen hatten?
Weil wir das HEUTE als Gerecht empfinden? Damals dachte man da eben anders- das wird doch immer betont. Man muss die Ereignisse aus der Zeit, dem Zeitgeist heraus verstehen und beurteilen- dem von damals, nicht von heute.
   
Bin erfreut zu lesen, dass Du die geschichtlichen Entwicklungen zu verstehen beginnst. Darf man denn diese Sichtweise dann auch auf die deutsche Vorkriegspolitik projizieren? Auf der einen Seite steht Deutschland, das seine verlorenen Gebiete wie Danzig, Westpreußen und Ostoberschlesien zurückhaben will, die einst durch (Zitat) ‚Kämpfe und Millionen Toten geschaffen’ wurden, und später durch Gewalteinwirkung (I. Weltkrieg) verloren wurden. Auf der anderen Seite Polen, eine aufstrebende Macht, die durch geschickte Bündnispolitik mit Frankreich und Großbritannien seinen westlichen Nachbarn zu überflügeln versucht. Auch hier zitiere ich jetzt Dich in dem ich frage warum sollte eine etablierte Macht wie Deutschland die neue Macht (Polen) mit offenen Armen empfangen? Weil wir es HEUTE so gerne hätten? Damals dachte man da eben anders. Auch in der Beurteilung dieser Politik müsste man doch fairerweise die Ereignisse aus der Zeit, dem Zeitgeist heraus verstehen und beurteilen- dem von damals, nicht von heute! Denn wo ein Körper ist, kann kein zweiter sein!

Deutschland ist im 19. Jahrhundert auch nicht von Heute auf Morgen auf dem internationalen Parkett aufgetaucht, sondern ist durch sein wirtschaftliches Wachstum und politischen Zusammenschluss (1871) dazu geworden. Diese Entwicklung war für die anderen europäischen Nationen offensichtlich und absehbar und geschah nicht im Verborgenen.
Die Reaktionen der Großmächte sind durchaus verständlich und auch nachvollziehbar, auch die Neuausrichtung ihrer Politik, die von der Präambel bestimmt war, langfristig das Machtpotential Deutschlands einzuschränken bzw. zu vernichten. 

"Hoppla jetzt komm ich" funktioniert nur bei Hans Albers und der "Platz an der Sonne" ist eben erst neuerdings per Los zu kaufen. Deutschland kam zu spät - "es war halt so" und worauf erhob man Anspruch? Auf den Besitzstand anderer und ihr verlangt von denen, dass sie den freudig mit der neuen Grossmacht teilen sollten, weil Deutschland ja ein Recht darauf hatte. Ein Recht worauf bzw. woraus begründet? Weil andere es auch hatten? Also Neid oder was?
Deutschland mit seinen Ansprüchen wollte die Karten neu mischen, die anderen aber nicht. Kann man beiden das Verdenken? Deutschland nicht und den etablierten Mächten nicht und was dann kam, kam fast zwangsläufig...

Das mit dem Anspruch auf den Besitzstand anderer ist auch so ein zweischneidiges Schwert. Hatten denn Großbritannien, Frankreich, Niederlande, Portugal, Spanien, Italien und Belgien einen Anspruch auf die Besitznahme Afrikas, Asiens, Nord- und Südamerikas? Wurden die Inder, Nigerianer, Chinesen, Perser, Ägypter, Indonesier, Azteken, Mayas etc. vorher politisch korrekt um Ihr Einverständnis gebeten, als es darum ging ihnen ihre angestammte Heimat wegzunehmen, sie zu versklaven oder zu ermorden? Ich wage es zu bezweifeln, aber wahrscheinlich bin ich nur ein Pessimist!
Deutschland hatte seine Kolonien weitestgehend durch Kauf- und Pachtverträge erworben, die von deutschen Steuerzahlern finanziert wurden. Das werden dir sogar der Spiegel und Wikipedia bestätigen.
Nach heutiger Sichtweise mag man diese Vereinbarungen durchaus kritisch hinterfragen, gewiss wurden auch viele Eingeborene übervorteilt.,,,,,,,,aber ‚es war halt so’!


Balsi

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Re:Gerd Schultze-Rhonhof
« Antwort #34 am: 20.02.10 (22:33) »
die Verträge mit Russland wurden in den Jahren zuvor ja ich glaube viermal verlängert...Zuletzt nicht mehr, weil beide Staaten nicht in die jeweiligen Konflikte des anderen hineingezogen werden wollten. Der Zar und der Kaiser wollten einen neuerlichen Vertrag beide Parlamente lehnten jedoch ab und unterzeichneten den neuen Vertrag nicht.

Wenn ich bspw. den dt. Flottenbau sehe als Versuch mit England einen Status quo zu erreichen. Ich meine deutschseits wird man sich doch denken können, das man maritim dem Engländer wohl kaum beikommen kann. England baute soviel Schiffe wie USA und Deutschland zusammen, eben wegen der Balance-Politik und dem "double marine act" (oder ähnlich) Englands Marine sollte 10% stärker sein, als die beiden folgenden Marinen anderer Staaten zusammen.

Aber Waldi... es klingt für mich so, als wäre es für Dtl. besser gewesen den Kopf wieder zurückzuziehen. Das kann es ja nun auch nicht sein. Wir streben doch immer vorwärts..als Menschheit..immer. Warum soll da ausgerechnet Deutschland eine Ausnahme sein. Es ist ja nun nicht so gewesen, daß Deutschland die Kolonien anderen "weggenommen hat". Das was Dtl. erhielt, war halt übrig..oder nicht? Natürlich begegneten dieser Absicht die etablierten Nationen mit Argwohn. Aber ist es dann nicht auch zu verstehen eben diesen mit allen Mitteln auszuschalten? Deutschland war doch mit 1871 die stärkste Macht auf Festlandeuropa. Es musste auf Dauer ausgeschaltet werden. Wer profitierte denn davon?
SR schreibt, das eben nicht der Flottenbau das Problem war..den hätten die Engländer geknackt. das Problem  war die dt. Wirtschaftkraft..Absatzmärkte, Produktionszahlen..eben die reine Macht und die sah England flöten gehen

Nomen Nescio

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Re:Gerd Schultze-Rhonhof
« Antwort #35 am: 20.02.10 (23:35) »
Warum soll da ausgerechnet Deutschland eine Ausnahme sein. Es ist ja nun nicht so gewesen, daß Deutschland die Kolonien anderen "weggenommen hat". Das was Dtl. erhielt, war halt übrig..oder nicht? Natürlich begegneten dieser Absicht die etablierten Nationen mit Argwohn. Aber ist es dann nicht auch zu verstehen eben diesen mit allen Mitteln auszuschalten? Deutschland war doch mit 1871 die stärkste Macht auf Festlandeuropa.
Du schreibst es selbst. Das bedeutet, daß deutsches Sabelgerassel anders eingeschätzt wird als das von einem willkürlichen Klein(st)staat.

Daneben muß man eine Störfaktor nicht vergessen. Auch wenn Wilhelm II es absolut gut meinte, er war nicht ein Licht. Sein eigener Vater hatte sich darüber beschwert. W II benahm sich manchmal wie eine Bombe mit defekten Zeitzünder. Und er war NAIV.
Trotzdem denke ich, daß seine Jahre in Retrospektive betrachtet, vllt die besten Jahren Deutschlands waren.

Es musste auf Dauer ausgeschaltet werden. Wer profitierte denn davon?
Da sind wir wieder bei Frankreichs Revanchegedanken und Englands Furcht für Tirpitz Pläne.

Nomen Nescio

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Re:Gerd Schultze-Rhonhof
« Antwort #36 am: 21.02.10 (01:39) »
Ich wiederhole mich, aber gebe hier jetzt das ganze Zitat aus Andriessens «De andere waarheid».

Zitat
Het was in de vijftiger jaren dat tijdens een bijeenkomst van internationale historici te Verdun, een gezamenlijke verklaring werd uitgegeven waarin gesteld werd dat het ontstaan van de Eerste Wereldoorlog niet de schuld was van slechts één land of  één bevolking, maar het gevolg van een complex van oorzaken en reacties.

Ãœbersetzt also:
Es war in den 50. Jahre, daß während einer Tagung von internationalen Historiker in Verdun, eine gemeinschaftliche Erklärung abgegeben wurde. Darin stand, daß das Entstehen von WK I nicht die Schuld war von nur ein Land oder eine Bevölkerung, sondern die Folge war von einem Komplex von Ursachen und Reaktionen.

Weiter im Buch redet Andriessen über die Frage wer mehr und wer weniger Schuld trägt. Deutschland war jedenfalls nicht derjenige, der die größte Schuld am Krieg hatte, findet er. Und finde ich auch.

Balsi

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Re:Gerd Schultze-Rhonhof
« Antwort #37 am: 21.02.10 (08:07) »
SR sieht die Pläne von Tirpitz nicht als Massageblich für England an, sondern die dt. Wirtschaftskraft.

Wenn also die Historiker die Hauptschuld nicht bei Deutschland sehen. Die Deutschen, Österreicher und Ungarn im Jahre 1918 dies auch so sahen und dann durch Versailles die Haupt- und Alleinschuld aufgebrummt bekommen, ist es doch nur allzu logisch die verlorenen Gebiete nicht aufzugeben, aktiv zu kämpfen und die Kriegsgewinnler und wohl Haupt- bzw. Mitverursacher des Krieges zu verdammen. Gerade doch aufgrund des erst 1871 befriedigten Nationalbestrebens, müssen doch Gebietsverluste als beschämend anerkannt worden sein. Eine nationale Schande. Dessen muss man sich wohl auch auf Seiten Englands und Frankreichs klar gewesen sein, als man die Appeasementpolitik Chamberlains durchführte. Was ja dazu führte, das Hitler freie Hand erhielt.

Alfons Zitterbacke

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Re:Gerd Schultze-Rhonhof
« Antwort #38 am: 21.02.10 (12:16) »
Das sieht Diwald ebenso:

Überall in der Welt fand man die Deutschen, ihre Produkte, ihre Angebote. Sie gefielen sich in einem Zukunftsoptimismus, der sich durch jeden Erfolg steigerte und so die Basis für den nächsten Erfolg schuf. Auch sie hatten sich in Übersee Schutzgebiete und Kolonien verschafft, hatten im Wettlauf um die letzten weißen Flecken der Landkarte, zumal in Afrika, nicht ungünstig abgeschnitten. Die Maße blieben aber bescheiden, denn im Jahre 1890 waren bereits 84% der Welt unter den Mächten aufgeteilt. Deutschland hatte seine Kolonien recht unkonventionell erworben, durch Kauf und korrekte Bezahlung, also nicht durch Eroberungen.
Die Deutschen saßen jetzt in Afrika, in Asien und selbst im Pazifik. Ihre Schiffe kreuzten alle Seestraßen der Welt, ihre Handelsbilanz schlug nur noch diejenigen Rekorde, die sie selbst aufgestellt hatten. Man riss sich um die deutschen Waren, denn ihr Preis lag erheblich unter demjenigen der Engländer und die Qualität niemals unter dem britschen Niveau. Das alles bedeutete für das Empire Rückschläge, Verluste, Niederlagen. Mochten die Deutschen ihre friedfertigkeit noch so beflissen hervorheben: Ihre Wirtschaftsexpansion war der erste kalte Krieg des 20. Jahrhunderts. Der Imperialismus ihrer Produkte war unendlich bedrohlicher als der Imperialismus von Kanonen.
Lag nicht die Konsequenz zutage, dass man sie politisch isolieren und militärisch destruieren musste, weil sie auf dem Feld der Wirtschaft nicht zu besiegen waren?

Vgl. die Entstehung von made in Germany!!

waldi44

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Re:Gerd Schultze-Rhonhof
« Antwort #39 am: 21.02.10 (13:11) »
Kehren wir mal zum Thema zurück.
Die Garantie Frankreichs und Englands für Polen gelten gemeinhin als Ursache für Polens Kriegsbereitschaft wird auch bei Schultze-Rhonhof so dargestellt. Die Gründe sind verschieden und man kann sich da so einiges für sein eigenes Weltbild aussuchen.
Allerdings habe ich da immer "Bauchschmerzen". Der Westen ist Schuld am Krieg, weil er Polen den Rücken stärkte. Als er es im Fall der Tschechei nicht tat, verschwand dieser von der Bildfläche. Polen, ein suveräner Staat sollte Zugeständnisse des lieben Friedens Willen an Deutschland machen, dass aber seinerseits um des "lieben Friedens Willen" nicht auf seine Forderungen verzichten wollte, da sie ja berechtigt waren - aus deutscher Sicht zumindest.
Da stellt sich mir die Frage nach der "Urkatastrophe". Hat da nicht Deutschland Östereich Ungarn den Rücken gestärkt in seinen unmässigen Forderungen an Serbien und eine Blancovollmacht erstellt, die dann promt zum Krieg führte und bei den Krieg zuvor führte eine absichtlich falsch dargestellte Depesche zum selbigen....

Nomen Nescio

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Re:Gerd Schultze-Rhonhof
« Antwort #40 am: 21.02.10 (13:39) »
Wenn also die Historiker die Hauptschuld nicht bei Deutschland sehen. Die Deutschen, Österreicher und Ungarn im Jahre 1918 dies auch so sahen und dann durch Versailles die Haupt- und Alleinschuld aufgebrummt bekommen, ist es doch nur allzu logisch die verlorenen Gebiete nicht aufzugeben, aktiv zu kämpfen und die Kriegsgewinnler und wohl Haupt- bzw. Mitverursacher des Krieges zu verdammen.
Eine alte Regel besagt «Wenn einmal etwas ein fait accompli ist, kann man besser die Hände davon lassen».

Elsaß-Lothringen war verloren. Wie ungerecht das auch war. Vllt hätte man es je, via Unterhandlungen (mit «etwas» politischen Druck) zurückbekommen können. Vielleicht. Wenn ich die Politik von Stresemann gut verstanden habe, war genau das, was er versuchte. Via Unterhandlung also den Schaden beheben.

Gerade doch aufgrund des erst 1871 befriedigten Nationalbestrebens, müssen doch Gebietsverluste als beschämend anerkannt worden sein. Eine nationale Schande. Dessen muss man sich wohl auch auf Seiten Englands und Frankreichs klar gewesen sein, als man die Appeasementpolitik Chamberlains durchführte. Was ja dazu führte, das Hitler freie Hand erhielt.
Hier machst Du aber einen Gedankenfehler.

Nicht die Alliierten waren verantwortlich für die Straßenkrawallen. Das waren die Deutschen selbst, die versagten.
Es gab in der Kaiserzeit ein starkes, rigide Ordnungssystem. Das war plötzlich weggefallen, und viele Gruppen sahen da Möglichkeiten.
Sogar der Reichswehr weigerte sich Befehle der legitime Regierung zu folgen. Obwohl sie das einzige Institut war, daß noch irgendwo Zucht und Ordnung erhalten hatte.

Jene Zeit erinnert mich sehr am Eifern der viele Fraktionen während der französischen Revolution. Ãœberspitzt formuliert könnte man sogar sagen, daß die Nazis vieles gemeinsam hatten mit den Jakobiner. 

Nomen Nescio

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Re:Gerd Schultze-Rhonhof
« Antwort #41 am: 06.03.10 (14:19) »
Leider habe ich nicht viel Zeit. Und darum habe ich das Buch Schultze-Rhonhofs noch nicht durchgehend lesen können.

Darum werde ich Fragen bzw Kritik hier gesondert, nach und nach, einstellen.

SR schreibt über die Gründe von GB um sich zu fürchten vor D. Ich zitiere von Seite 25 (2. Auflage)
Zitat
Die deutsche Geschichtsschreibung nach dem Zweiten Weltkrieg sieht im deutschen Flottenrüsten einen großen Teil der Schuld des Kaisers und des Admirals von Tirpitz am Kriegsausbruch des Ersten Weltkriegs. Deutschland – so die Begründung – habe Großbritannien mit seinem Flottenbau zu diesem Krieg herausgefordert. Hier folgen deutsche Wissenschaftler den Argumenten der Sieger von 1918. Die wirklichen Herausforderungen der Vorkriegsjahre heißen aber deutsche Wissenschaft und Technologie, Wirtschaftswachstum und Konkurrenz auf allen Märkten. Der deutsche Flottenbau dagegen ist keine ernste Konkurrenz für England, auch wenn er den Briten Schwierigkeiten macht.
SR macht hier m.E. einen Denkfehler.
Stell mal vor, daß es tatsächlich zu einem Gefecht zwischen beiden Flotten käme. Welches Land hätte dann schneller die Schiffe ersetzen können?

Ich denke, daß die letzte Zeile eine Verharmlosung ist. Denn man sollte m.E. auch die Ersatzpotenz nicht unberücksichtigt lassen.
Eine goldene Regel ist, daß nicht wichtig ist, was einer tut, sondern was er tun könnte.

Als der «Battle of Britain» 1940 statt fand, produzierte GB 100% mehr Flugzeuge als Deutschland. Und konnte dadurch den Verlust an Flugzeuge leichter ersetzen. Das war ein entscheidender Faktor.
« Letzte Änderung: 06.03.10 (16:44) von Nomen Nescio »

waldi44

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Re:Gerd Schultze-Rhonhof
« Antwort #42 am: 06.03.10 (15:06) »
Kurz: Der Mann stellt die historischen Tatsachen schlichtweg auf den Kopf!

Walter23

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Re:Gerd Schultze-Rhonhof
« Antwort #43 am: 06.03.10 (15:53) »
Moin

Die Aussage ist (Schiffe - Flugzeuge) irgendwie "nur in den Raum gerstellt".

Wie sahen nun die Produktionskapazitäten konkret aus.
Wieviele Werften - welche Schiffsgrößen produzierbar - "Wirtsschaftsstruktur" incl. Rohstofflage

Ansonsten hat der Vergleich mit den Flugzeugen einen kleinen Haken - Produzierte Flugzeuge müssen
auch bemannt werden (wie auch Schiffe) - Es gab auf Seiten der Briten ja auch Piloten anderer Nationen
die dort im Einsatz waren.

Gruß

Nomen Nescio

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Re:Gerd Schultze-Rhonhof
« Antwort #44 am: 06.03.10 (16:42) »
Die Aussage ist (Schiffe - Flugzeuge) irgendwie "nur in den Raum gerstellt".

Wie sahen nun die Produktionskapazitäten konkret aus.
Wieviele Werften - welche Schiffsgrößen produzierbar - "Wirtsschaftsstruktur" incl. Rohstofflage
Das hätte SR deutlich machen müßen. Er gibt einerseits an, daß Deutschland wirtschaftlich zu großen Leistungen im Stande war. Dann ist eine sehr logische Frage «Wie war das mit dem Schiffsbau»?
Weil es die Flottengesetze von Tirpitz gab, muß da erheblich investiert sein. Englische Werften waren vermutlich nicht so modern als die deutschen Werften.

Ansonsten hat der Vergleich mit den Flugzeugen einen kleinen Haken - Produzierte Flugzeuge müssen auch bemannt werden (wie auch Schiffe) - Es gab auf Seiten der Briten ja auch Piloten anderer Nationen die dort im Einsatz waren.
Der Unterschied ist, daß Britische Piloten, falls sie ein Fallschirm benützen konnten, auf britischen Boden landeten und darum fast sofort wieder fliegen konnten. Deutsche Piloten dagegen wurden interniert und waren für die Luftwaffe verloren. Schließlich wurde im britischen Luftraum gekämpft.

 

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