Ob es uns nun gefällt oder nicht: Das planmäßige Verhungernlassen von Zivilisten und Kriegsgefangenen war fester Bestandteil der dt. Besatzungspolitik. Leningrad war da nur ein kleiner Baustein im Gesamtkonzept.
Zitat:
“Am 2. Mai 1941 fanden sich die Staatssekretäre aller großen Ministerialbehörden zu einer Besprechung mit General Thomas ein, um die Planung für die Besatzungszeit auszuarbeiten. Heraus kam eines der außergewöhnlichsten Verwaltungsdokumente in der Geschichte des „Dritten Reiches“. In einer Sprache, die um ein Vielfaches unverblümter war als alle Begriffe, die je bei der Behandlung der „Judenfrage“ benutzt wurden, gaben sämtliche wichtigen Behörden des NS-Staates ihre Zustimmung zu einem Massenmordprogramm, dessen Umfang die Vorschläge, die Heydrich neun Monate später auf der Wannseekonferenz machen sollte, regelrecht in den Schatten stellten.
Laut den Aufzeichnungen des Sekretariats von General Thomas kam man abschließend überein:
1. Der Krieg ist nur weiter zu führen, wenn die gesamte Wehrmacht im 3. Kriegsjahr aus Russland ernährt wird
2. Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird.
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Das Protokoll spezifiziert nicht, wie viele Millionen Menschen die Deutschen verhungern lassen wollten. Doch dass diese Überlegungen den Stempel von Backe tragen, ist unverkennbar. Er selbst schätzte die Zahl der „überflüssigen“ sowjetischen Bevölkerung auf 20 bis 30 Millionen. Und genau diese Zahlen sollten im Laufe der kommenden Monate zum allgemeinen Richtwert werden. Mitte Juni ... hielt Himmler vor den SS-Gruppenführern eine Rede: “Durch die Kriegshandlungen und die Ernährungsschwierigkeiten (werden) 20 bis 30 Millionen Slawen und Juden umkommen.“ Im November stellte Göring dem italienischen Außenminister Graf Ciano den Plan, 20 bis 30 Millionen Sowjetbürger verhungern zu lassen, stolz als eines der zentralen Elemente der deutschen Besatzungspolitik vor. Die vom OKW herausgegebenen Richtlinien für die Agrarverwaltung der besetzten Ostgebiete das so genannte „Grünbuch“, das Backes Denken auf Punkt und Komma übernommen hatte – forderten, dass alle industriellen und urbanen Zentren Westrusslands wie auch die waldreiche Region zwischen Moskau und Leningrad von ihren Nahrungsquellen abgeschnitten werden mussten. Die deutschen Besatzungsbehörden wurden demnach instruiert, sich auf eine menschliche Katastrophe beispiellosen Ausmaßes vorzubereiten: „Viele 10 Millionen von Menschen werden in diesen Gebieten überflüssig und werden sterben oder nach Sibirien auswandern müssen.“ "
Quelle: Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung, S. 552
Bemerkenswert und beeindruckend dabei ist, daß die gesteckten Planziele auch ziemlich genau erreicht wurden.
Zitat:
„Der Plan organisierten Hungers, wie er vom Dritten Reich verwirklicht wurde, hatte eine solide wissenschaftliche Basis und klar abgesteckte Ziele. Er war eine wirksame Waffe des Krieges mit großer Vernichtungskraft, die man im breitesten Maße und mit maximaler Effektivität ausnutzen wollte. Genau so verfuhren die Deutschen, nachdem sie jede Sentimentalität verworfen hatten.“
Quelle: J. de Castro, „Die Geopolitik des Hungers“
So war z.B. auch bei den russischen Kriegsgefangenen die „Versorgungslage“ – wenn man es denn überhaupt so nennen will - deutlich schlechter als bei Kriegsgefangenen westlicher Nationalitäten. In der Zeit von Juni 1941 bis Februar 1945 sind von 5,7 Mio. sowjetischen Kriegsgefangenen 3,3 Mio. (58%) durch Hunger, Krankheit, Kälte oder Erschießung umgekommen (allein bis zum Frühjahr 1942 davon etwa 2 Mio.). Zum Vergleich: von den 235.473 britischen und amerikanischen Kriegsgefangenen starben im gleichen Zeitraum 8.348 (3,5%).
Bei der ganzen Thematik sollte man sich gleichwohl eines vor Augen halten: Den Zugriff auf die agrarischen Überschussgebiete im Süden der SU hatte über einen Zeitraum von 3 Jahren ausschließlich die dt. Besatzungsmacht.
Gruß Falk