Autor Thema: Ich bin Bolle....  (Gelesen 19898 mal)

Ostpreuße

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Re:Ich bin Bolle....
« Antwort #15 am: 22.12.09 (19:41) »
Mahlzeit allerseits,

ich bin neu hier und entbiete meinen Gruß in die Runde. Ich bin über ebendiesen Thread gestolpert und bin so frei, mal eben meinen Senf dazuzugeben. Sowohl das erwähnte Heftchen als auch die Panzerei der NVA sind mir wohlbekannt. Ich diente bis '87 als Fahrer im PR. 22. (Nach dem 21. und 23. hätten wir damit dann wohl die Panzer-Regimenter der ehemaligen 9. PD komplett.)

Ich denke, die widerlichen Zustände seinerzeit sind im besagten Heftchen recht treffend beschrieben (auch wenn es in seiner literarischen Qualität nicht überzeugt). Allerdings muß man wissen, daß der Alltag in solchen Einheiten wie Raketentruppen, Kampfschwimmer und eben Panzer offensichtlich besonders unangenehm war und mit der restlichen NVA nur bedingt vergleichbar ist. Fakt ist, daß in Truppenteilen, deren strategische Bedeutung - wie vorliegend - besonders hoch war, quasi alles der Gefechtsbereitschaft untergeordnet war. Ausgang oder gar Urlaub gab es EXTREM selten. Nicht zuletzt auch daraus resultierte ein erhebliches Frustpotential. Mit dem Anspruch der NVA an sich selbst hatte der Alltag in den Panzerkompanien nichts gemein. Letztendlich ähnelte die Panzerei einem großen Gefängnis. Um die Leute unter diesen Bedingungen im Griff zu behalten, wurde extrem viel Streß erzeugt. Die Panzereinheiten rotierten rund um die Uhr, damit niemand der Insassen auf dumme Gedanken kam. Ich habe damals mitgezählt: von den ersten 16 Wochenenden des Jahres 1986 hatten wir an 13 Wochenenden weder Sonnabend noch Sonntag frei - haben als durchgerackert - oft bis nachts um ein oder zwei Uhr. Das ging soweit, daß ich seinerzeit in Verbindung mit wenig Schlaf und wenig Essen mit einem Kreislaufkollaps zusammenbrach. Die Tätigkeiten, mit denen die Panzerkompanien auf Trab gehalten wurden, waren in der Mehrzahl völlig sinnlos. Beispielsweise wurden schwere Munitionskisten von der einen Ecke des Parks per Hand an eine andere Stelle transportiert, nur um dann später wieder an den Ausgangsort geschleppt zu werden. Folge dieser Praxis war, daß man als Panzersoldat sich auf die Dauer von seinem eigenen Willen, von seiner eigenen Persönlichkeit verabschiedete. Befehle - egal wie sinnlos oder unangenehm - wurden widerstandslos ausgeführt. Man hatte sich in die Hoffnungslosigkeit der Situation völlig ergeben. Es focht einen nichts mehr an - man war völlig ruhig. Das war letztendlich auch viel einschneidender als die körperlichen Belastungen bzw. sonstigen Entbehrungen. Ich habe bei minus 25 Grad 10 Tage lang ununterbrochen heftigst gefroren (trotz bzw. wegen Kanonenofen), habe volle 6 Monate im Zelt gelebt, habe diese 6 Monate ein Klo benutzen müssen, das nur aus Gerüststangen bestand, ohne jede Abtrennung Platz für 8 Mann gleichzeitig bot und aus 300 m Entfernung frei einsehbar war. An den Wasserleitungen in den Massenwaschräumen lagen aufgrund der maroden E-Anlage über 40 V Spannung an,  das Essen war unter aller Sau (die Wurst schillerte in allen Farben) und wenn ich ein wenig nachdenke, fallen mir sicher noch ein paar Highlights ein. Fakt ist, ich träume selbst heute noch hin und wieder von riesigen Massen-Sanitär-Räumen, in denen die Pisse knöchelhoch steht und in denen man kein vernünftiges Klo zum Pinkeln findet...

Aber diese kleinen Unannehmlichkeiten waren geradezu lächerlich gegen die allgegenwärtige Hoffnungslosigkeit und die Aufgabe der eigenen Persönlichkeit.

Gruß Falk

waldi44

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Re:Ich bin Bolle....
« Antwort #16 am: 22.12.09 (19:58) »
Nach deiner Schilderung ist es ja noch bechissener geworden als zu meiner Zeit. Vielleicht aber lag es auch an der Örtlichkeis. An meiner Uffz. Schule in Weisswasser war es den Umständen entsprechend recht angenehm. Sowohl das Dienstklima, die Unterbringunmg und die Mannschaft - änderte sich aber schlagartig mit meinem Eintreffen in Eggesin.
Ein regelrechter Kulturschock, eine Ernüchterung, die fast nur noch im Suff zu ertragen war und in meiner einseitigen vorzeitigen ausserordentlichen Kündigung endete!

Ostpreuße

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Re:Ich bin Bolle....
« Antwort #17 am: 22.12.09 (21:11) »
Du hast abgekohlt? Alle Achtung! Wie hast Du das denn hingekriegt? Das haben sich nur ganz wenige getraut.

Die Eggesiner U-Schule war letzendlich nicht viel besser oder schlechter als später die Einheit - nur etwas anders. Das Dienstklima war durchaus von Sadismus durchzogen. Ich erinnere mich, daß unsere Einheit wegen irgendeiner kleinen Verfehlung eines Einzelnen sage und schreibe eine dreiviertel Stunde lang strammstehen mußte. So etwas hört/liest man sonst nur von KZs. Besonders widerlich war der Küchendienst - soweit ich mich erinnere war der ähnlich dem Wachdienst 24 h. Nachts um 2 Uhr im Halbschlaf Kartoffeln schälen und dabei permanent von den Küchenbullen angebrüllt werden: "Los Ihr glatten Schweine! Macht hinne! Hopp! Hopp!"

Nett auch die Story mit den Ohrenklappen: Draußen auf der Fahrschulstrecke angetreten. Tiefster Winter. Eisiger Wind. Hitze im Sommer kann lästig sein. Aber Kälte tut weh. Unser Zugführer meinte, solange er seine Ohrenklappen nicht runtermacht, brauchen wir das auch nicht. Der Unterschied war nur, daß seine Ohren schon mal erforren waren und er da nichts mehr spürte. Mein Kamerad hat sich dann bei dieser Gelegenheit auch prompt die Ohren erfroren.

Eines Tages war Blutspenden angesagt. Üblicherweise ist so etwas freiwillig. Das hat natürlich den KC nicht interessiert. Der hat einfach befohlen, wer Blut zu spenden hat. Daß dabei jemand dorthin befohlen wurde, der kein Blut sehen konnte, hat nicht interessiert. Trotz Widerspruch wurde er hinbefehligt und ist dann natürlich im Medpunkt prompt kollabiert.

Als ich es einmal gewagt hatte, beim Appel mit Sonnenbrille (mit Stärke) aufzukreuzen, machte mich der KC zur Sau. Obwohl dazu nichts in der Dienstvorschrift oder sonstwo geregelt war, brüllte er mich vor versammelter Mannschaft an: "Wenn ich Dich noch einmal mit dieser Sonnenbrille erwische, jage ich Dich über'n Jordan!"

Ja, das Personal dort war schon leicht pervers und hätte sicherlich auch in einem KZ ganz gut Karriere gemacht.

Gruß Falk

waldi44

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Re:Ich bin Bolle....
« Antwort #18 am: 22.12.09 (21:37) »
Ich war nicht in Eggesin auf der uffz. Schule, sondern in Weisswasser- Weisskeisel glaub ich oder so ähnlich. Abgekohl? Kenne ich nicht, ich habe in Richtung Westen "gekündigt", was man mir irgendwie übelnahm und mich für den Rest meiner Dienstzeit nach Brandenburg "versetzte".
Liess etwas im Forum und du weisst wie und warum und wieso ;)!
Also, wie ich schon sagte: Es scheint nicht besser, sondern eher schlimmer geworden zu sein. Die schlimmsten "Feinde" waren zu meiner Zeit die "Kameraden", die Stubengenossen- diese Arschlöcher und die grössten Pfeifen und Versager die sogenannten echten Genossen und ALLE Politoffiziere!

Sturm

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Re:Ich bin Bolle....
« Antwort #19 am: 23.12.09 (09:47) »
Weisswasser- Weisskeisel  - da sind doch die Vögel mit den Rücken drüber geflogen, damit sie das Elend nicht sehen  ;D !
Wir Mot- Schützen aus Sondershausen waren dort auch mal zur einer Übung gewesen . Weit und Breit Steppe und wenn ich mich recht erinnere ,waren da Kraftwerkstürme in der Ferne ????

Jetzt wird der Baum geschmückt.

Jürgen Fritsche

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Re: Ich bin Bolle....
« Antwort #20 am: 24.12.09 (01:09) »
Ups, nach so langer Zeit regt sich noch was ;D! Nun, deswegen lassen wir die meisten Threads ja auch offen.

Moin Waldi,

nun ja, angesichts meiner ach so langen Mitgliedschaft hier kann ich wohl kaum schon durch alle Beiträge durch sein  ;D

Ihr müßt also durchaus darauf gefaßt sein, daß hier und da vielleicht doch wieder was aus der Versenkung hochkommt.  ;)
Viele Grüße,
Jürgen



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Tonio

  • Gast
Re:Ich bin Bolle....
« Antwort #21 am: 02.05.10 (22:28) »
Nochmals zum Buch "Ich bin Bolle" (ich bin der Autor). Niemals war das Buch als literarisches Werk gedacht, sondern (nur) als absolut ehrlicher Erlebnisbericht.
Nichts in dem Buch ist ausgedacht oder entspringt der Phantasie - alles selbst erlebt.
Als das Buch im September 99 erschien, war dies zu großem Teil immer noch ein Tabuthema. Deshalb durfte das Buch sich nur an der Wahrheit orientieren...

Daß es in den NVA-Kampfeinheiten oft noch deutlich schlimmer war, als im Buch dargestellt ist heute durchaus klar - nur habe ich als Kompaniekraftfahrer (zu meinem Glück!!!) nicht alles mitmachen müssen, solche Erlebnisse der "reinen" Panzersoldaten fehlen natürlich oder müssen fehlen, da ich um wirklich bei der Wahrheit zu bleiben, nur wirklich selbst erlebtes in das Buch "reingeschrieben" habe.
Natürlich ist die Brutalität des Tones in der NVA (die im Buch natürlich zum Vorschein kommen muß) aus heutiger Sicht kaum zu verstehen, vor allem für all diejenigen, die das zu ihrem Glück nicht erleben mußten. Aber es war eben so. Deshalb konnte das Buch auch keine literarische "Ikone" werden, dann hätte u.a. diese Realität weggelassen werden müssen und ich denke gerade diese auch brutale Ehrlichkeit zeichnet dieses Buch über das 21. Panzerregiment in Torgelow - Spechtberg aus und macht es, trotz aller Kritik am Stil, noch immer lesenswert, mindestens für die Leser, die die Wahrheit über die Realität innerhalb der NVA (mindestens innerhalb der damaligen Kampfregimenter, wie Motschützen (Mucker), Panzer usw. heute noch (oder wieder) suchen...
Das bestätigen auch die vielen Lesermeinungen seit Erscheinen des Buches - zu finden unter www.agroplant.de    Verlag.

Udoleh

  • Gast
Re:Ich bin Bolle....
« Antwort #22 am: 22.03.11 (07:46) »
Habe gerade hier Eiue Diskussion gelesen über "schwachbrüstig" oder nicht. ch muss zum Buch sagen, dass bei mir viele Erinnerungen an meine Zeit von 1975-1977 im gleichen Regiment geweckt wurden.
Eigentlich ist es doch klar, dass Jeder ein anderes Empfinden für seine gediente Zeit hat. Wie wurde immer gesagt: " Das Gute behält man, dass Schlechte hat man vergessen". Durch solche Zeilen hier, kommt aber die Erinnerung wieder. Das ist doch auch der Grund einer solchen Sache. Einiges fand ich auch ziemlich übertrieben, aber nun ja, er emfand es so.

Micha

  • Gast
Re:Ich bin Bolle....
« Antwort #23 am: 22.03.11 (20:44) »
Eggesin - im Land der drei Meere,

WALD meer,
Sand meer,
GARNICHTS mehr. ;)