Autor Thema: "Orzel"-Schicksal eines polnischen Unterseebootes  (Gelesen 4761 mal)

waldi44

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Als der Krieg begann, verfügte die polnische Marine über 5 Unterseeboote. Alle entkamen trotz gegenteiliger Meldungen den Deutschen nach Schweden, dem Baltikum bzw. England. Treffer erzielten diese Boote keine, sieht man von einem Minentreffer ab.
Die "Orzel" aber hatte ein ganz besonders abenteuerliches Schicksal und schrieb allein durch seine Existenz Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes.
Das Boote hatte eine Wasserverdrängung von 1110/1473,5 t und 84 m lang, war mit einem Bofors-Geschütz 10,5 cm, einer 4 cm Zwillingsflack und 12 Torpedorohren bewaffnet. Die Besatzung war 60 Mann stark und es wurde in Vlissingen/Holland gebaut.
Bei Kriegsbeginn lag das Boot vor Hela und konnte den Angriff auf den Kriegshafen durch das Periskop beobachten. Es kam aber zu keinem Zeitpunkt zum Schuss, da es ständig vor der allgegenwärtigen Kriegsmarine und Luftwaffe fliehen musste. Ausserdem gingen schon nach wenige Stunden/Tage die Häfen und Versorgungsplätze verloren, so dass es, wie alle übrigen noch intakten Schiffe und Boote auf verlorenem Posten stand.
Wie immer in solchen Fällen, kommt ein Unglück selten allein. Der Kapitän des Bootes, Komandor Kloczkowski, erkrankte und man vermutete Typhus. Aus diesem Grund fragt man am 14. September, auf der Reede von Reval (Tallin) liegend, bei den Esten an, ob man in den Hafen einlaufen und den Kranken an Landbringen könne.
Die Genehmigung wurde erteilt und dem Boot ein Liegeplatz im Marinebecken von Reval zugewiesen. Ein, wie sich später noch rausstellen sollte, schwerwiegenden Entschluss. Das sofortige Auslaufen des Bootes war nun nicht mehr möglich, da der sich ebenfalls im Hafen befindliche deutsche Tanker "Thalatta", laut Seekriegsordnung oder wie auch immer das heisst, einen 24 stündigen Vorsprung haben musste, da es sich um Schiffe kriegsführender Mächte handelte und er wollte gerade auslaufen!
Dadurch wurde die Anwesenheit des polnischen Kriegsschiffes sowohl den Deutschen als auch den Russen bekannt und beide übten vorerst nur diplomatischen Druck auf die Esten aus. Die gaben nach und erklärten die "Orzel" und seine Besatzung für interniert.
Es werden an Bord estnische Wachen aufgestellt und man beginnt das Schiff zu desarmiren. Auch wurden sämtliche seemännischen Utensielien und Seekarten beschlagnahmt Leutnant Piasecki und der neue Kapitän Grudzinski beschlossen aber, sich nicht internieren zu lassen.
Um die verbliebenen 6 Hecktorpedos entladen zu können, muss das Boot gewendet werden, so dass es wieder in Fahrtrichtung oder besser gesagt in Richtung Hafenausfahrt zum liegen kommt. Aber es kommt noch etwas dazwischen, nämlich das Wochenende!
In der Nacht vom 17/18 September wurden die zwei estnischen Posten überwälltigt, einige Kabel nahestehender Suchscheinwerfer und diverse Telefonleitungen durchtrennt und ab ging es in  Richtung Freiheit. Weit kamen sie aber erst mal nicht. Eine Sandbank und eine Mole versperrten ihnen den Weg. Durch den da Lärm den sie verursachten als sie da drauf knallten und den Krach der auf volle fahrt laufenden Diesel wurde das ganze Hafen geweckt.
Suchscheinwerfer flammten auf und die Küstenbatterie (15 cm) begann zu schiessen. Als sie entlich den Hafen verlassen konnten, mussten sie so schnell wir möglich auf Grund, wo sie den ganzen Tag verbrachten.
Inzwischen machten Esten und Russen zu Wasser und aus der Luft jagt auf das U-Boot.
Die Russen erheben gegenüber den Esten schwere Vorwürfe und unterstellen ihnen, den Polen bei der Flucht geholfen zu haben. Etwas später hatte dieser Vorfall für die Esten schreckliche Folgen!
Als es entlich wieder dunkelt, fährt die "Orzel" in Richtung Gotland und man beschliesst, trotz fehlender Karten, für die sechs Torpedos doch noch ein Ziel zu suchen.
In der Nacht vom 20/21. September werden die beiden Esten in ein Boot gesetzt und östlich von  Gotland, nahe dem Leuchtturm von Östergarn an Land geschickt. Man gab ihnen Proviant, Reisegeld und für sie vielleicht noch viel wichtiger, einen Brief an ihren Vorgesetzten mit, mit der Schilderung des tatsächlichen Herganges- einen "Entschuldigungszettel" gewissermassen. Übrigens wurden die Beiden inzwischen von der Sowjetpropaganda als von den Polen ermordet abgeschrieben!
Offensichtlich fand man kein lohnendes Ziel oder kam nicht in Schussposition. Auch hatte die Destilationsanlage einen Schaden, so dass das Trinkwasser knapp wurde und man sich an Bord der "Orzel" entschloss, nach England durchzubrechen.
Dazu greift man zu einer Kriegslist. Aus einem bettlaken wird mit Ölfarbe und etwas Geschick, die schwedische Fahne bebastelt und am Turm gesetzt. Alles was auf die wahre Identität des Bootes hätte schliessen lassen wurde entfernt und so fährt man bei Trelleborg durch den Sund und knallt promt wieder auf ein Seehinderniss.
Mit Ach und Krach rutscht man hinüber, mit an Deck angetretener Besatzung, bereit zum Sprung ins Wasser...
Gegen Mitternacht passierte man Kopenhagen und kam in tieferes Gewässer.
Am Morgen des 14. Oktober befindet man sich auf der Höhe des Firth of Forth und gibt sich im Klartext den Briten zu erkennen und bittet um Hilfe.
44 Tage war das Boot unterwegs und es sollte noch einmal zum Schuss kommen und beinahe noch einmal Weltgeschichte schreiben. Am 8. April 1940 sichtete das nun der Navy unterstellte Boot vor Lillsand einen Frachter, der auf Nordkurs fuhr. Man stoppte das verdächtige Schiff und als es per Funk um Hilfe rief, wurde es mit zwei Torpedos versenkt.
Ein Norweger rettet 120 Mann aus dem, wie sich später rausstellte, deutschen Transportschiff "Rio de Janeiro" und die waren alle Uniformiert! Zwar wurde die Meldung davon sofort weitergeleitet, aber in Norwegen nahm niemand Notiz davon, dass deutsche Soldaten auf einem Frachtschiff nach Norwegen unterwegs waren.....

Ach ja und nun zu ersten mal, wo die "Orzel" tatsächlich Weltgeschichte geschrieben hat:

Wie schon erwähnt beschuldigten die Sowjets die esten, die "Orzel" absichtlich entkommen gelassen zu haben und dadurch die sowjetische Schifffahrt in der Ostsee zu gefärden. Promt kam auch die "Bestätigung". Am 26. September 1939 meldete die TASS, dass ein polnisches Unterseeboot den sowjetischen Dampfer "Matallist" versenkt und die "Pionier" erfolglos torpediert habe!
Daraufhin verlangten die Sowjets, angesichts der estnischen militärischen Schwäche, dass man ihnen für die Rote Armee/Rote Flotte/Rote Luftwaffe Stützpunkte abtreten müsse, damit man eben seine Seewege selber schützen könne. Um seinen "Wünschen" Nachdruck zu verleihen zog man an den Grenzen Truppen zusammen, rote Bomber kreisten über der Hauptstad und die Rotbannerflotte fuhr in Sichtweite.
Nötigenfalls, erklärte Molotow, würde man seine Wünsche mit Gewalt durchstzen. Zwar wandt man sich Hilfesuchend an Deutschland und den Westalliierten, aber keiner Half und so beugte man sich Moskaus "Wünschen", die dann wenig später dazu führten, dass das estnische Volk ebenfalls auf eigenem "Wunsch" sich der Sowjetunion als Sowjetrepublik anschloss.

Aber schon 1941 wurde über den wahren Hergang der Versenkung die Wahrheit laut, nämlich, dass die Sowjets selbst den Dampfer an einer seichten Stelle erst mehrfach erfolglos torpedierte und dann mit Geschützfeuer versenkte.

Die "Orzel" ist dann später bei einem Einsatz samt Mannn und Maus verschollen und ihr Schicksal ist bis heute ungeklärt.
Hier eine polnische Seite dazu:http://www.orzel.one.pl/viewpage.php?page_id=26

Richtschuetze

  • Gast
Re: "Orzel"-Schicksal eines polnischen Unterseebootes
« Antwort #1 am: 30.07.06 (18:44) »
Also Waldi du läufst ja mit deinen Beiträgen auf "Höchstform" ;D auf!

Gruss

P.S:
Kannte ich garnicht dachte die U-Boote der Polen wären alle Versenkt bzw Erbeutet worden!

Mario

  • Gast
Re: "Orzel"-Schicksal eines polnischen Unterseebootes
« Antwort #2 am: 30.07.06 (19:54) »
Das einzige Zeichen, was nicht "beseitigt" wurde, war der am Turm angebrachte "Orzel piastkow", der weiße polnische Adler. Damit sicherte man sich trotz der Camouflage trotz allem das Kriegsrecht!

In diesem Sinne
Tschaudi

Erichx

  • Gast
Re: "Orzel"-Schicksal eines polnischen Unterseebootes
« Antwort #3 am: 30.07.06 (21:24) »
Kloczkowski war aber ein Simulant ! Man könnte jetzt spekulieren wieso er das tat. Das U-Boot war nicht das einzige Schiff welches interniert wurde und anschließend entkommen ist. Ähnliche Geschichten gab's in franz. Häfen.
p.s. orzeł = Adler.

parabelum

  • Gast
Re: "Orzel"-Schicksal eines polnischen Unterseebootes
« Antwort #4 am: 20.08.06 (01:18) »
hallo,

die Geschichte  vom "Orzel" wurde sogar in Polen verfilmt!
hab ich schon mal gesehen.

mfg
parabelum

p.s
super Beitrag, Respekt!