Autor Thema: Peter Longerich: Davon haben wir nichts gewusst!  (Gelesen 6566 mal)

Niwre

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Das offene Geheimnis

Zitat
Peter Longerich untersucht ein heikles Kapitel unserer jüngeren Geschichte: Was wussten die Deutschen vom Holocaust

[...]

Peter Longerich: »Davon haben wir nichts gewusst!«
Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933–1945; Siedler Verlag, 2006; 448 S., 24,95 €

merlin61

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Re: Peter Longerich: Davon haben wir nichts gewusst!
« Antwort #1 am: 22.04.06 (03:11) »
Jedes Jahr das selbe Thema ... nur von einem anderen Autor, wurde wieder einmal "Sensationelles" enthüllt :-\

Wie z.B. auch in diesem Artikel: Was wussten die Deutschen von der Vernichtung der Juden?
Quelle (SZ vom 26.01.2005 um 16:36 Uhr): http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/763/46717/


Auszug aus »Davon haben wir nichts gewusst!« von Peter Longerich:
Zitat
Am 11. April 1945 erreichten Verbände der 3. amerikanischen Armee das Konzentrationslager Buchenwald.
General Patton war über das, was er erlebte, so entsetzt, dass er der Militärpolizei befahl, Bürger aus Weimar heranzuschaffen.
Sie sollten mit eigenen Augen sehen, was sich in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zugetragen hatte.

Margaret Bourke-White, Korrespondentin der Illustrierten Life, war unter den Beobachtern: »Frauen fielen in Ohnmacht oder weinten.
Männer bedeckten ihr Gesicht und drehten die Köpfe weg. Als die Zivilisten immer wieder riefen: ›Wir haben nichts gewußt! Wir haben
nichts gewußt!‹, gerieten die Ex-Häftlinge außer sich vor Wut. ›Ihr habt es gewußt‹, schrien sie. ›Wir haben neben euch in den Fabriken
gearbeitet. Wir haben es euch gesagt und dabei unser Leben riskiert. Aber ihr habt nichts getan
.‹«
[...]


Ein paar Fragen und meine Meinung zur "Enthüllung" von Peter Longerich, der Holocaust wäre den Deutschen bekannt gewesen:

Dass es vor allem in den großen KZ`s (v.a. der Vernichtungslager) Grausamkeiten gab und jene auch Brutstätten von Krankheiten
waren, dürfte wohl jedem einleuchten, der sich schon einmal etwas mehr-als-üblich über KZ`s - oder auch Gulags - informiert hat.
Ich bin jedoch davon überzeugt, dass Buchenwald KEIN Vernichtungslager wie z.B. Birkenau war ... und frage mich deshalb, was
denn die Ex-Häftlingen ("unter Todesgefahr") den Weimarern in den Fabriken über den Holocaust im KZ-Buchenwald erzählt haben,
damit jene unter den Generalsverdacht kommen, sie hätten nicht nur davon gewusst, sondern ihn(= den H.) auch nicht verhindert.

Noch einmal:
WAS genau, sollte denn die unmittelbare Nachbarschaft vom KZ-Buchenwald (z.B. in Weimar) über den dort "stattgefundenen" H. - um
diesen geht es doch im Buch, und sicher nicht, um Zeugen der Deportationen in die KZ`s oder auch der tagtägliche Horror in jenem KZ
-
genau informiert gewesen sein, was ihnen die Ex-Häftlinge bei der Befreiung und auch Gegenüberstelllung, im einzelnen vorgeworfen haben ?

Etwa dies: "Im KZ-Buchenwald wurden Menschen vergast / mit anderen Unmenschlichkeiten in Massen getötet" - was der Holocaust aussagt ?
Gegen den Wahrheitsgehalt in dieser Aussage sprechen allerdings mind. ein dutzend Autoren - vor allem aber ehemalige Buchenwald-Häftlinge.

---

Was genau stört mich am Inhalt oder auch "der eigentlichen" Aussage im obigen Zitat? Na z.B. diese Pauschalisierung und Unterstellungen:
Die Einwohner Weimars in die (Mit-)Verantwortung für die Ereignisse im KZ-Buchenwald zu bringen UND dies auch noch als Grund anzuführen,
jene für die Schicksale der Insassen (mit-)anzuklagen, entbehrt mMn jeglicher Beweiskraft - dies war, ist und bleibt NUR eine üble Unterstellung.
Zur Farce wird diese ab dem Moment, wenn jene "unbescholtenen" Bürger dann etwa noch "zum Leichen beseitigen" o.ä. herangezogen wurden.

Ich empfinde dies einfach nur als unglaublich, was bei manch einer Befreiung eines KZ`s - in jedem 'Einzelfall - "völlig Unschuldigen" angetan wurde.
Nein, ich habe auch kein Verständnis dafür, wenn man z.B. Berge von Leichen sieht, dass einen der Verstand in die Steinzeit zurückkatapuliert und
man die Überlebenden dabei unterstützt / wegsieht, wie diese ihrer angestaute Wut über diese Schicksale "an daran" völlig Unschuldigen austoben.

Falls die Schuldigen ermittelt wurden, dann hätten jene angeklagt und VOR ein ord. Gericht gehört - OHNE Selbstjustiz mit alliierten o.a. Aufpassern!

Freiheit und Menschlichkeit für ALLE Völker Europas, dies waren doch AUCH Argumente, welche die US-Regierung den Krieg IHREM Volk erklärt haben.
Was "nicht nur" die Amerikaner in Deutschland an Unmenschlichkeiten an Deutschen zuliesen / selbst umsetzten, interessiert Heute aber keinen :(
=> Darüber ein Buch zu verfassen, es in die Medien zu bringen und öffentlich zu diskutieren, käme allerdings wirklich einer echten Sensation gleich!
Optimismus ist ein Mangel an Information.
Ein Pessimist ist ein Optimist mit Erfahrung.

Niwre

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Re: Peter Longerich: Davon haben wir nichts gewusst!
« Antwort #2 am: 12.05.06 (11:04) »
Historiker: Judenverfolgung im Dritten Reich war ein öffentliches Ereignis

Zitat
Der Historiker Peter Longerich belegt in seinem Buch sein Buch "Davon haben wir nichts gewusst! Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933 - 1945", dass die deutsche Bevölkerung sehr wohl über die Vernichtung der Juden informiert war, deren Verfolgung öffentlich vor sich ging. Der Satz "Davon habe ich nichts gewusst" sei so etwas wie eine kollektive Abwehrhaltung der Deutschen nach dem Krieg gewesen. [...]

hec801

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Re: Peter Longerich: Davon haben wir nichts gewusst!
« Antwort #3 am: 12.05.06 (11:52) »
Etwa dies: "Im KZ-Buchenwald wurden Menschen vergast / mit anderen Unmenschlichkeiten in Massen getötet" - was der Holocaust aussagt ?
Gegen den Wahrheitsgehalt in dieser Aussage sprechen allerdings mind. ein dutzend Autoren - vor allem aber ehemalige Buchenwald-Häftlinge.

Man, man merlin!  ???

Bitte schau einmal nach der Definition des Begriffs "Holocaust". Auch so scheint Deine obige Beweiskette wohl nicht ganz hinzuhauen: Natürlich wurden in Buchenwald Massen an Menschen getötet, ob aktiv oder passiv ist doch egal. Ob durch die Benutzung der dortigen Genickschussanlage, ob durch medizinische Experimente, ob man sie verhungern liess oder sonstiges. In Buchenwald wurden Menschen vieler Volksgruppen, Konfessionen und politischen Gesinnungen ermordet, darunter auch Polen, Juden, Russen und Deutsche. Dies nicht in den Holocaust mit einzubeziehen, ist eine glatte Verkennung der tatsächlichen Umstände.

In Buchenwald sollen rund 250.000 Inhaftierte über die gesamte Zeit des Bestehens des Lagers gewesen sein. Die Zahl der Opfer wird auf 56.000 geschätzt. Das ist mehr als ein Fünftel aller Inhaftierten. In welche Gruppe von Verbrechen ordnest Du dies sonst ein, wenn nicht in den Holocaust?


Freiheit und Menschlichkeit für ALLE Völker Europas, dies waren doch AUCH Argumente, welche die US-Regierung den Krieg IHREM Volk erklärt haben.
Was "nicht nur" die Amerikaner in Deutschland an Unmenschlichkeiten an Deutschen zuliesen / selbst umsetzten, interessiert Heute aber keinen :(
=> Darüber ein Buch zu verfassen, es in die Medien zu bringen und öffentlich zu diskutieren, käme allerdings wirklich einer echten Sensation gleich!

Bleib doch einfach beim eigentlichen Thema des Threads, dem Holocaust! Dass alle Siegermächte in und außerhalb von Deutschland Verbrechen an Deutschen begangen haben ist unbestritten, aber hör' doch einfach mal auf, bei einem solchen Thema wie dem von Niwre eröffneten, immer gleich die Gegenseite aufzurufen. Es geht nicht um die Verbrechen der Amerikaner, der Sowjets oder der Franzosen, es geht um den Holocaust!

Das mit dem Buch wäre doch eine maßgescheiderte Aufgabe für Dich! Dann mal los!

Gruss

Hannes

Walter23

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Re: Peter Longerich: Davon haben wir nichts gewusst!
« Antwort #4 am: 12.05.06 (12:56) »
Zitat
[..]
König:  Was folgt denn nun aus den Arbeiten zu Ihrem neuen Buch? Welche Basis hatte die Judenverfolgung innerhalb der deutschen Bevölkerung?

Longerich:  Um diese Frage wirklich umfassend beantworten zu können, müsste man natürlich auch mehr über den Antisemitismus vor 1933 wissen. Leider ist es so, dass hier relativ wenig bisher in der Geschichtswissenschaft geschehen ist. Wir wissen tatsächlich relativ wenig über das Ausmaß des Antisemitismus in der Weimarer Republik. Wir wissen auch relativ wenig über das Ausmaß des Antisemitismus im so genannten Dritten Reich. Zum Beispiel welche Rolle spielten etwa antisemitische Parolen, Rituale und so weiter innerhalb der lokalen Organisation der NSDAP. Darüber wissen wir relativ wenig.
[..]

Irgendwie wundert mich das ein wenig.

Die bisherige Darstellung nach meinem subjektiven Empfinden ist/war da ein wenig anders.


Jan-Hendrik

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Re: Peter Longerich: Davon haben wir nichts gewusst!
« Antwort #5 am: 12.05.06 (13:05) »
Nährt irgendwie meinen Verdacht das hier ein Klugschwätzer altbekannte Banalitäten als sensationelle "Neuigkeiten" zu verkaufen versucht ... ::)

Oder : Im Westen nichts Neues ...

Jan-Hendrik

hec801

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Re: Peter Longerich: Davon haben wir nichts gewusst!
« Antwort #6 am: 12.05.06 (13:56) »
Hach, wovon wissen wir nicht alles relativ wenig!  ::)

Hoover

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Re: Peter Longerich: Davon haben wir nichts gewusst!
« Antwort #7 am: 12.05.06 (14:08) »
Man sollte isch klar machen, was überhaupt bekannt war.

Hier bei uns auf dem Lande (Kleinstadt mit 5 jüdischen Familien) war wohl nicht bekannt, dass die Juden ermordet würden, aber geahnt hat man es.

Wie meine Oma sagte: Immer, wenn etwas gegen die Nazis gesagt wurde kam die Warnung: "Still, sonst kommst du ins Lager!".

Für mich (und das habe ich durch viele Gespräche erkannt) wussten die Deutschen, dass etwas mit den Juden passierte. Aber das sie zu Millionen ermordet wurden, dass konnte und wollte man sich nicht vorstellen.

Für mich ist das Sensationsbuch nur eine neue Papierverwertung.

Jan-Hendrik

  • Gast
Re: Peter Longerich: Davon haben wir nichts gewusst!
« Antwort #8 am: 12.05.06 (14:23) »
Villeicht sollten wir dem Begriff "Verknoppung" noch als Aquivalent den Begriff der "VerCüpperisierung" hinzufügen  ;)

Jan-Hendrik

merlin61

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Re: Peter Longerich: Davon haben wir nichts gewusst!
« Antwort #9 am: 13.05.06 (02:55) »
Etwa dies: "Im KZ-Buchenwald wurden Menschen vergast / mit anderen Unmenschlichkeiten in Massen getötet" - was der Holocaust aussagt ?
Gegen den Wahrheitsgehalt in dieser Aussage sprechen allerdings mind. ein dutzend Autoren - vor allem aber ehemalige Buchenwald-Häftlinge.

Man, man merlin!  ???

Bitte schau einmal nach der Definition des Begriffs "Holocaust". Auch so scheint Deine obige Beweiskette wohl nicht ganz hinzuhauen: Natürlich wurden in Buchenwald Massen an Menschen getötet, ob aktiv oder passiv ist doch egal. Ob durch die Benutzung der dortigen Genickschussanlage, ob durch medizinische Experimente, ob man sie verhungern liess oder sonstiges. In Buchenwald wurden Menschen vieler Volksgruppen, Konfessionen und politischen Gesinnungen ermordet, darunter auch Polen, Juden, Russen und Deutsche. Dies nicht in den Holocaust mit einzubeziehen, ist eine glatte Verkennung der tatsächlichen Umstände.

In Buchenwald sollen rund 250.000 Inhaftierte über die gesamte Zeit des Bestehens des Lagers gewesen sein. Die Zahl der Opfer wird auf 56.000 geschätzt. Das ist mehr als ein Fünftel aller Inhaftierten. In welche Gruppe von Verbrechen ordnest Du dies sonst ein, wenn nicht in den Holocaust?


[...]


Gruss

Hannes
Wo ordnest du die Opfer des KL`s Buchenwald ein, die z.B. an Krankheiten / Seuchen dort verstorben sind - als ermordet / unter Holokaust-Opfer ?

Wieviele Personen, die Monate- oder Jahrelang auf engstem Raum entkräftet (über-)leben - müssen - sterben, wenn dort eine Seuche ausbricht ?
1, 3, 5, 10 ... 20% ... oder noch mehr ? In manch einem Gulag herrschten sicher ähnliche Verhältnisse ... und sicher auch ähnlich hohe Todesraten.
Hierbei spricht man nicht von "Vernichtung durch Arbeit", sondern Seuchen waren in solchen Lagern nicht zu verhindern und schwer zu bekämpfen.
... entsprechend hoch waren dann auch die jeweiligen Opferzahlen - ein industrieller Massenmord wie der Holokaust ist aber etwas völlig anderes.


Ich definiere den Begriff Holocaust oder Holokaust: (... wie von dir gewünscht)

Mit dem Holokaust(= "Holos" heißt ganz und "kaustos" heißt verbrannt) wird mW nur die versuchte Vernichtung der jüdischen Rasse bezeichnet.
Dies setzt aber voraus, das wenn von Holokaust-Opfern gesprochen wird, dass damit einzig die Verfolgung und Ermordung von Juden gemeint ist.

Da es aber, wie du es selbst richtig schreibst, im KL Buchenwald Häftlinge von vielen Volksgruppen, Konfessionen und politischer Gesinnung gab,
kann es sich in diesem Fall (wie ich es weiter oben geschrieben habe) nicht hauptsächlich um jüdische Opfer gehandelt haben wie z.B. in Birkenau.
... und deshalb kann man mMn diese Opfer - wie jene auch immer ihr Leben im KL Buchenwald beenden mussten - alle dem Holokaust zusprechen.



Dies war alles, was ich mit meinem Kommentar ausdrücken wollte, als ich die fehlenden Vergasungen und einem Holokaust in Buchenwald ansprach.
Sind damit alle Unklarheiten beseitigt - prima
;)
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Ronny22

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Re: Peter Longerich: Davon haben wir nichts gewusst!
« Antwort #10 am: 13.05.06 (09:25) »
Wo ordnest du die Opfer des KL`s Buchenwald ein, die z.B. an Krankheiten / Seuchen dort verstorben sind - als ermordet / unter Holokaust-Opfer ?

Es waren darunter auch Kriminelle aus deutschen Gefängnissen...aber viele sassen wegen ihrer Abstammung oder Religion oder Lebensart ein.
Und dafür wurden sie in ein Lager gesteckt wo ihr Tod billigend in Kauf genommen wurde bzw. mit eingeplant war.

Das entspricht schon der Zielsetzung des Holocaust...



... und deshalb kann man mMn diese Opfer - wie jene auch immer ihr Leben im KL Buchenwald beenden mussten - alle dem Holokaust zusprechen.

Na da sagst du es ja selbst...  ::)
Die Weltgeschichte ist auch die Summe dessen, was vermeidbar gewesen wäre.
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